Thunderhead - Schlucht des Verderbens
Stirn. »Zunächst haben mir Hoiroyds Symptome ein Rätsel aufgegeben. Sie schienen von keinem mir bekannten Erreger zu stammen. Außerdem starb er viel zu schnell, als dass die auf der Hand liegenden Ursachen in Frage gekommen wären. Aber dann fiel mir dieses rostfarbene Pulver ein, das wir in der seltsamen Grabmulde gefunden haben.«
Er blickte hinüber zu Nora. »Erinnern Sie sich noch an die beiden Töpfe mit dem rötlichen Staub? Sie dachten, dass es sich um eine Art Ocker handeln könnte, und ich habe Ihnen nie gesagt, dass es in Wirklichkeit getrocknetes und pulverisiertes Menschenfleisch war, vermischt mit fein gemahlenem Knochenmehl.«
»Warum haben Sie uns das verschwiegen?«, rief Nora.
»Sagen wir mal so: Sie waren zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt«, erwiderte Aragon. »Außerdem wollte ich erst selbst Klarheit haben, bevor ich Ihnen meine Schlussfolgerungen präsentierte. Wie dem auch sei. Während ich mir also Gedanken über Hoiroyds Tod machte, fielen mir die Gefäße mit dem rötlichen Pulver wieder ein, und ich erkannte, um was es sich dabei handelte - um eine Substanz, die bei einigen Indianerstämmen im Südwesten als >Leichenpulver< bekannt ist.«
Nora blickte hinüber zu Smithback und sah, wie sich ihr eigenes Entsetzen in den Augen des Journalisten widerspiegelte.
»Indianische Hexer haben es früher verwendet, um ihre Gegner zu töten«, fuhr Aragon fort, »und bei manchen Stämmen findet man es sogar heute noch.«
»Ich weiß«, flüsterte Nora, die an Beiyoodzins Geschichten von den Skinwalkern denken musste.
»Als ich das Pulver unter dem Mikroskop untersuchte, entdeckte ich, dass es in hohem Maße mit Cocädioides imitis gesättigt war. Kurz gesagt: Mit diesem Leichenpulver kann man tatsächlich jemanden töten.«
»Und Sie glauben nun, dass Peter Holroyd damit ermordet wurde?«
»Wenn man davon ausgeht, dass er eine große Dosis der Sporen in seine Atemwege bekommen hat, um so rasch an dieser Infektion zu sterben, würde ich diese Frage durchaus mit Ja beantworten. Allerdings wurde der Krankheitsverlauf durch das kontinuierliche Einatmen des Staubes von Quivira zuvor sicherlich zusätzlich begünstigt. In den Tagen vor seinem Tod hat er ziemlich viel im hinteren Teil der Ruine herumgegraben. Ehrlich gesagt haben wir alle diesen Staub eingeatmet.«
»Ich auf alle Fälle«, bemerkte Smithback mit leicht zittriger Stimme. »Schließlich habe ich wie ein Weltmeister in Blacks Abfallhaufen herumgewühlt. Wie lange wird es dauern, bis wir auch krank werden?«
»Das kann ich nicht sagen. Es hängt hauptsächlich davon ab, wie viele Sporen des Pilzes der Einzelne tatsächlich eingeatmet hat und wie gut sein Immunsystem ist. Außerdem glaube ich, dass sich der mit den Pilzen verseuchte Sand eher im hinteren Teil der Ruine konzentriert. Aber in jedem Fall ist lebenswichtig für uns, dass wir so rasch wie möglich dieses Tal verlassen und uns in ärztliche Behandlung begeben.«
»Ist die Krankheit denn heilbar?«, wollte Smithback wissen.
»Ja. Mit Ketoconazol oder bei fortgeschrittenem Verlauf, wenn der Pilz bereits ins zentrale Nervensystem eingedrungen ist, mit einer Lösung von Amphotericin B, die direkt in die Cerebrospinalflüssigkeit eingespritzt wird. Letzteres ist ein recht gebräuchliches Antibiotikum, das ich - welch eine Ironie - fast mit auf diese Expedition genommen hätte.«
»Wie sicher sind Sie sich Ihrer Theorie?«, fragte Nora.
»So sicher, wie ich es auf Grund meiner eingeschränkten Diagnosemöglichkeiten nur sein kann. Um hundertprozentige Gewissheit zu erlangen, brauchte ich ein besseres Mikroskop, denn die Kügelchen im Gewebe haben nur einen Durchmesser von fünfzig Mikron. Dennoch gibt es keine andere Erkrankung, auf die Hoiroyds Symptome zuträfen: Die Zyanose, die Atemnot, das mukopurulente Sputum und schließlich sein plötzlich eingetretener Tod. Außerdem hat der einfache Test, den ich gerade mit seinem Lungengewebe vorgenommen habe, das Vorhandensein von Antikörpern gegen Kokzidiodin ergeben.« Er seufzte. »Das alles ist mir leider erst in den vergangenen ein, zwei Tagen klar geworden. Gestern Abend war ich noch einmal in der Ruine und fand dort weitere Töpfe und einige sehr merkwürdig aussehende Instrumente. Aus diesen Funden und den im Tunnel entsorgten Knochen schließe ich, dass die Bewohner von Quivira Leichenpulver in großem Stil produzierten. Als Folge davon ist der gesamte Boden der Ruine mit den Pilzsporen verseucht, und zwar umso
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