Thunderhead - Schlucht des Verderbens
begann er.
Nora beugte sich rasch vor. »Ja?«
Holroyd schüttelte den Kopf. »Ich brauche Bedenkzeit«, sagte er. »Das kommt mir alles etwas zu plötzlich.«
Nora sah ihn prüfend an. Dann nickte sie. »Das kann ich verstehen«, meinte sie leise. Sie holte aus ihrer Handtasche einen Zettel und reichte ihn ihm. »Hier ist die Telefonnummer der Freundin, bei der ich übernachte. Aber denken Sie nicht zu lange nach, Peter. Ich kann nur ein paar Tage bleiben.«
Holroyd hörte kaum, was sie sagte, denn er versuchte sich über etwas klar zu werden. »Bitte verstehen Sie mich jetzt nicht falsch«, flüsterte er ebenso leise wie sie. »Ich sage nicht, dass ich auf Ihren Vorschlag eingehen werde, aber ich wüsste schon, wie man die Sache bewerkstelligen könnte. Sie müssten gar keinen Antrag schreiben, denn das Shuttle verbringt die letzten drei Tage seiner Mission sowieso mit Radaraufnahmen und macht dabei fünfundsechzig Erdumkreisungen in unterschiedlichen Höhen. Eine Bergwerksgesellschaft hat vor längerer Zeit bei uns Aufnahmen von Utah und Colorado bestellt, und wir haben sie ohnehin schon viel zu lange hingehalten. Ich könnte deshalb ihren Auftrag noch mit ins Programm nehmen und das zu überfliegende Gebiet ein wenig ausdehnen, so dass wir Ihre Aufnahmen gleich mit erledigen können. Sie müssten bloß, sobald ich die Daten hier auf der Erde habe, einen Antrag auf Erwerb der Aufnahmen stellen. Normalerweise werden sie zwar ein paar Jahre lang nicht zur Veröffentlichung freigegeben, aber wenn ein begründetes wissenschaftliches Interesse vorliegt, ließe sich eine Ausnahme machen. Ich werde Ihnen schon die richtigen Türen öffnen, wenn es soweit ist.«
»Haben Sie gerade vom Erwerb der Aufnahmen gesprochen? Wie teuer sind sie denn?«
»Nun, billig sind sie nicht gerade«, meinte Holroyd.
»Um welche Größenordnung handelt es sich denn? Um ein paar hundert Dollar?«
»Unter zwanzigtausend wird man sie Ihnen wohl kaum überlassen.«
»Zwanzigtausend Dollar? Sind Sie wahnsinnig?«
»Tut mir Leid, aber darauf habe ich keinerlei Einfluss. Den hat nicht einmal Watkins.«
»Und wo soll ich bitte schön, zwanzigtausend Dollar hernehmen?«, ereiferte sich Nora.
»Jetzt machen Sie mal halblang! Ich habe mich fast dazu bereit erklärt, extra für Sie ein Raumfahrzeug der Vereinigten Staaten seine Umlaufbahn ändern zu lassen. Ist das denn noch immer nicht genug? Was wollen Sie denn noch von mir? Soll ich die verdammten Daten vielleicht auch noch für Sie stehlen?«
Eine Weile schwiegen sie beide.
»Mit dieser Idee könnte ich mich durchaus anfreunden«, sagte Nora schließlich.
7
N ora konnte sich nicht erinnern, jemals in einer heißeren, stickigeren Wohnung gewesen zu sein als in der von Peter Holroyd. Die Luft darin war nicht nur tot, dachte sie grimmig, sie befand sich schon im Stadium der Verwesung. »Haben Sie vielleicht etwas Eis?«, fragte sie.
Holroyd, der vier Stockwerke hinuntergegangen war, um ihr aufzusperren und seine Post zu holen, schüttelte seinen struppigen Kopf. »Tut mir Leid, das Eisfach ist kaputt.«
Nora sah ihm zu, wie er seine Post durchging. Unter seinem sandfarbenen Haarschopf spannte sich die außergewöhnlich blasse Haut seines Gesichts über zwei vorspringende Backenknochen, und wenn er sich bewegte, schienen ihm seine Glieder immer irgendwie im Weg zu sein. Seine Beine schienen ein wenig zu kurz für seinen mageren Oberkörper und seine langen, knochigen Arme geraten zu sein. Den melancholischen Eindruck, den Holroyds Erscheinung auf Nora machte, straften seine wachen grünen Augen Lügen, die intelligent und hoffnungsvoll in die Welt blickten. Holroyds Geschmack in punkto Kleidung war ziemlich fragwürdig: Er trug eine gestreifte bräunliche Polyesterhose und ein Karohemd mit V-Ausschnitt.
Nora trat ans Fenster, wo sich schmuddelige gelbe Vorhänge in der matten Parodie einer Abendbrise bauschten, und sah hinaus auf die dunklen Boulevards von Ost-Los Angeles. An der nächsten Kreuzung leuchtete das Reklameschild von »Al's Pizza«, wo sie zwei Abende zuvor Holroyd zum ersten Mal gesehen hatte. Jetzt, nachdem sie zwei Nächte bei einer Freundin in Thousand Oaks, einer hässlichen, kleinkarierten Ecke von L.A., verbracht hatte, verstand sie Peters Sehnsucht nach Freiheit und Abenteuer schon ein wenig besser.
Seufzend trat sie vom Fenster zurück. Das Zimmer war so kahl, dass sie nicht einmal erkennen konnte, ob Holroyd ein guter oder schlechter Hausmann war. Ein
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