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Thunderhead - Schlucht des Verderbens

Thunderhead - Schlucht des Verderbens

Titel: Thunderhead - Schlucht des Verderbens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lincoln Douglas & Child Preston
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einer gelassenen, präzise klingenden Stimme, in der ein kaum wahrnehmbarer mexikanischer Akzent mitschwang. Auch ihn hatte Nora schon des Öfteren bei Vorträgen auf archäologischen Kongressen gesehen, wo er immer einen zurückgezogenen und abweisenden Eindruck gemacht hatte. Unter Archäologen galt Aragon, der Träger der Hrdlicka- Medaille war, als der beste physikalische Anthropologe des Landes - ein Umstand, der für Goddard zweifelsohne mit den Ausschlag gegeben hatte, ihn zu der Expedition einzuladen. Es war schon erstaunlich, dachte Nora, wie es Goddard in so kurzer Zeit gelungen war, Wissenschaftler vom Format eines Black und Aragon für das Unternehmen zu gewinnen. Noch mehr allerdings erstaunte es sie, dass diese beiden Männer, die ihr so viel an Erfahrung und Ansehen voraushatten, nun tatsächlich unter ihrem Kommando standen. Energisch schüttelte Nora den Anflug des Zweifels ab, der sie bei diesem Gedanken überkam: Als Expeditionsleiterin musste sie von Anfang an Führungsqualitäten an den Tag legen und durfte sich nicht wie eine Assistenzprofessorin benehmen, die es gewohnt war, sich Rat von erfahreneren Kollegen zu holen.
    »Wir sind gerade dabei, uns einander vorzustellen«, sagte Aragon mit einem kurzen Lächeln. »Das hier ist Luigi Bonarotti, unser Koch und Lagermanager.« Er trat einen Schritt beiseite und machte Platz für einen Mann, der gerade herbeigekommen war, um Nora zu begrüßen.
    Als Bonarotti ihr die Hand gab, sah er sie aus dunklen sizilianischen Augen durchdringend an. Dann machte er eine angedeutete Verbeugung, und Nora roch einen Hauch von teurem After Shave. Der Italiener trug einen kakifarbenen Expeditionsanzug mit makellosen Bügelfalten und machte einen ausgesprochen gepflegten, europäischen Eindruck.
    »Müssen wir denn wirklich den ganzen Weg vom See zur Ausgrabungsstätte im Sattel zurücklegen?«, fragte Black.
    »Nein«, antwortete Nora. »Ein ganzes Stück werden wir auch zu Fuß gehen.«
    Black verzog missvergnügt das Gesicht. »Ich hätte den Einsatz von Hubschraubern für sinnvoller gehalten. Bisher habe ich damit die besten Erfahrungen gemacht.«
    »Aber in dieser Landschaft ist das nicht möglich«, erwiderte Nora.
    »Und wo bleibt eigentlich dieser Journalist, der unsere Expedition für die Nachwelt festhalten soll? Ich würde ihn gerne kennen lernen.«
    »Er stößt im Hafen von Wahweap zu uns, zusammen mit der Tochter von Dr. Goddard.«
    Sie setzten sich auf die Baumstämme vor dem Feuer, und Nora genoss die Wärme der Flammen und den Duft des brennenden Zedernholzes. Während sie dem Zischen und Knistern der Scheite lauschte, hörte sie, wie Black sich im Hintergrund immer noch über die Zumutung beschwerte, auf ein Pferd steigen zu müssen. Die Flammen tanzten über die Sandsteinwand mit ihren dunkel gähnenden Höhleneingängen. Einmal glaubte Nora in einer der Höhlen einen Lichtschein zu erkennen, der aber gleich wieder verschwand. Vermutlich war es nur eine Sinnestäuschung gewesen. Aus einem unerfindlichen Grund musste Nora plötzlich an Platos Höhlengleichnis denken. Und wie würden wir wohl den Höhlenbewohnern Vorkommen, wenn sie da drinnen unsere Schatten über die Wand huschen sähen?, fragte sie sich.
    Auf einmal bemerkte Nora, dass die Unterhaltung neben ihr aufgehört hatte. Ihre neuen Gefährten starrten ins Feuer und schienen alle ihren Gedanken nachzuhängen. Nur Holroyd grübelte nicht vor sich hin, sondern blickte über die Flammen hinweg auf die erleuchtete Felswand.
    Dann sah Nora, wie erst Aragon, dann Black den Kopf hob. Sie folgte ihren Blicken und stellte fest, dass jetzt doch ein Licht in einer der Höhlen am Fuß der Wand aufblitzte, schwach zwar, aber unverkennbar. Dann hörte sie ein leises, klickendes Geräusch und sah mehr von diesen merkwürdigen, gelblichen Blitzen. Kurz darauf schälte sich eine dunkelgraue Gestalt aus dem schwarzen Eingang der Höhle. Als sie noch weiter vortrat, erkannte Nora die mageren Gesichtszüge von Emest Goddard. Er trat schweigend auf die Gruppe zu. Sein weißes Haar leuchtete rötlich im Schein des Feuers, während er die Wissenschaftler durch die Flammen und den Rauch unverwandt anstarrte. Dann bewegte er seine Hände, und die gelblichen Blitze zuckten zwischen seinen schmalen Fingern hindurch.
    Goddard blieb eine ganze Weile stehen und blickte den Expeditionsteilnehmem nacheinander ins Gesicht. Dann steckte er die Gegenstände, die er in den Händen gehalten hatte, in einen Lederbeutel und

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