Thunderhead - Schlucht des Verderbens
Aluminiumtisch zusammengekommen und hatten mit trockenem Orvieto auf das Wohl des Kochs angestoßen. Danach verteilte man sich wieder auf dem Deck, verdaute in kontemplativer Stimmung das exzellente Mahl und wartete darauf, endlich an Land gehen und mit der eigentlichen Expedition beginnen zu können.
Smithback, der beim Essen ordentlich zugelangt und viel Wein getrunken hatte, setzte sich neben Black auf einen der klapprigen. Stühle. Vor dem Essen hatte der Journalist noch Witze über Campingküche und Ratteneintopf gerissen, war aber während der Mahlzeit in wahre Lobeshymnen über den Koch ausgebrochen.
»Haben Sie nicht auch ein Buch über diese Museumsmorde in New York geschrieben?«, wollte Black von Smithback wissen. Der Journalist quittierte die Frage mit einem selbstgefälligen Grinsen.
»Und über das Massaker in der U-Bahn vor ein paar Jahren?«
Smithback zog in einer grandiosen Geste übertriebener Hochachtung seinen imaginären Hut.
»Verstehen Sie mich nicht falsch«, sagte Black und kratzte sich am Kinn. »Ich finde Ihre Arbeit wirklich gut, aber... Also, ich dachte immer, dass das Institut eher auf eine dezente, zurückhaltende Berichterstattung in der Presse Wert legen würde.«
»Nun, ich bin nicht mehr Bill Smithback, der König der Revolverblätter, wie man mich früher einmal genannt hat«, erwiderte der Journalist. »Jetzt arbeite ich für die angesehene, bis oben hin zugeknöpfte >New York Times<, wo ich die Position bekleide, die früher ein gewisser Bryce Harriman innehatte. Auch er hat damals über das Massaker in der U-Bahn berichtet, konnte aber gegen meine Meisterwerke des investigativen Journalismus nicht anstinken. Das war sein Pech.« Er drehte sich um und grinste Nora an. »So kommt es, dass ich heute als wahrer Ausbund seriöser Berichterstattung gelte, dem sich nicht einmal so ein verstaubtes, konservatives Institut wie das von Dr. Goddard verschließen kann.«
Nora fand die Prahlerei des Journalisten alles andere als lustig, selbst wenn diese mit einer Portion Selbstkritik einherging. Leicht irritiert wandte sie den Blick ab und wunderte sich ein weiteres Mal, dass Goddard ihr so einen Zeitungsfritzen mit auf die Expedition geschickt hatte. Sie schaute hinüber zu Holroyd, der auf dem Metalldeck des Kahns hockte, die Ellenbogen auf die Knie gelegt hatte und ein Buch las, das auch in Noras Augen Gnade fand: Es war eine zerfledderte Taschenbuchausgabe von »Coronado und die Goldene Stadt«. Als Holroyd bemerkte, dass sie ihn beobachtete, lächelte er sie an.
Aragon stand an der Bugreling, und Roscoe Swire war wieder bei den Pferden. Er hatte ein Stück Kautabak im Mund und schrieb, während er den Tieren beruhigende Worte zumurmelte, etwas in ein kleines Notizbuch. Bonarotti rauchte behaglich eine Verdauungszigarette und genoss mit übereinander geschlagene Beinen und in den Nacken gelegtem Kopf die Spätnachmittagsonne. Die Arbeit des Kochs hatte Nora gleichermaßen erstaunt und erfreut. Es gibt nichts Besseres, um Menschen zueinander zu führen, als gutes Essen, dachte sie und erinnerte sich an das angeregte Tischgespräch, bei dem sich die Archäologen einen freundlichen Disput über die Herkunft der Clovis-Jäger und die richtige Methode zum Ausgraben von Höhlen geliefert hatten. Sogar Black hatte sich entspannt gezeigt und einen dreckigen Witz zum Besten gegeben, in dem es um einen Proktologen, eine riesige Sequoia und eine unorthodoxe Methode der Datierung anhand von Baumringen gegangen war. Nur Aragon war still und distanziert geblieben, ohne dabei aber überheblich zu wirken.
Nora sah, wie er bewegungslos an der Reling stand und in den Sonnenuntergang starrte. Während der drei Monate, in denen sie am Galegos Divide die verbrannte Indianerhütte ausgegraben hatte, war ihr klar geworden, dass die Dynamik der menschlichen Gefühle ein wichtiger Faktor für das Gelingen oder Scheitern einer Expedition war. Aragons brütendes Schweigen gefiel ihr ganz und gar nicht. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm. Sie stand auf und schlenderte so beiläufig wie möglich auf ihn zu. Nachdem sie sich neben ihn gestellt hatte, sah er sie an und nickte ihr höflich zu.
»Das war ein tolles Essen«, sagte sie.
»Bemerkenswert«, erwiderte Aragon und faltete seine braunen Hände über der Reling. »Man muss Signor Bonarotti wirklich ein Kompliment machen. Was meinen Sie, dass er sonst noch in seiner Trickkiste hat?«
Aragon meinte damit eine alte Lebensmittelkiste aus Holz mit
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