ThunderStorm
... Nein, ich bin nicht schwanger. Aber ich war es mal. Und bevor ihr überlegt, wie ihr fragen könnt ...“ Sie schmunzelte und zuckte dabei mit den Schultern. „Ich war sehr jung und es war kein guter Zeitpunkt. Ich habe abgetrieben.“
Rachel hatte als junge Frau eine Abtreibung erlebt? Gendrys Gedanken begannen zu rasen. Was sollte er nur dazu sagen? Sollte er überhaupt etwas sagen? Er wusste es einfach nicht. Gendry verdammte Frauen nicht, die eine Abtreibung vornehmen ließen, wie viele Amerikaner es taten, weil es ihn erstens nichts anging, solange er nicht als Vater betroffen war, und weil all diese Frauen zweitens mit Sicherheit ihre Gründe dafür hatten. So wie auch seine Schuhdiebin sich garantiert einige Gedanken gemacht hatte, bevor die Entscheidung gefallen war. Er hatte kein Recht, ein Urteil darüber zu fällen. Passende Worte fehlten ihm im Augenblick aber trotzdem.
„Was ist passiert?“, fragte Emma nach einer Weile leise und sehr mitfühlend, während Gendry sich damit begnügte, sanft Rachels Hand zu drücken, woraufhin sie hoch sah und ihn kurz anlächelte.
„Wie schon gesagt, es war einfach nicht die richtige Zeit für ein Kind“, wiederholte Rachel ihre vorherigen Worte und sagte damit alles, denn Gendry verstand sehr wohl, dass sie nicht mehr erzählen wollte, und das war ihr gutes Recht.
„Warum nicht?“, hakte Brian überraschend nach und bekam dafür von Emma prompt einen Fußtritt verpasst, während Christy empört schnaubte.
„Brian! Also ehrlich mal ...“
„Nein, ist schon gut“, mischte sich Rachel ein, bevor es zum Streit kommen konnte, und zuckte die Schultern, als sie danach von allen Seiten fragend angesehen wurde. „Ich war sechzehn und wollte kein Kind. Ich hatte genug Probleme zu jener Zeit und für mich wäre das Kind nur ein weiteres gewesen, deswegen habe ich mich dagegen entschieden.“
„Und eine Adoption?“, fragte Emma vorsichtig.
Rachel schüttelte den Kopf. „Ich hatte keinen, der mir half, also habe ich mich für mich selbst entschieden.“
Gendry blieb der Mund offenstehen. Sollte das etwa heißen, dass sie damals ganz allein gewesen war? Wollte sie das damit sagen? Er sah vollkommen entsetzt auf sie hinunter, kam aber nicht zu einer Nachfrage, weil Robb schneller war.
„Moment mal ...“ Sein Bruder war sichtlich geschockt. „Du hast alles mit dir allein ausgemacht? Es gab keinen einzigen in deiner Familie, an den du dich mit deinen Problemen hättest wenden können? Niemanden, der dir geholfen hätte? Für dich da gewesen wäre?“
Rachel schüttelte erneut den Kopf. „Meine Familie ist nicht wie eure hier, Robb. Ihr haltet zusammen und helft euch gegenseitig in jeder Lage. So etwas gab es bei mir nicht. Es gab niemanden, zu dem ich gehen konnte. Das war immer so. Seit ich mich erinnern kann.“
Himmel noch eins. Gendry war sprachlos. Was hatte Rachel denn nur für eine Familie? Dass ihr Verhältnis zu ihren Erzeugern nicht das Beste war, wusste er ja schon, aber dass es so schlimm war, damit hatte Gendry nicht gerechnet.
„Oh mein Gott“, murmelte Christy fassungslos.
„Aber ...“ Emma zögerte kurz, sprach dann aber doch weiter. „Wäre das Jugendamt eine Alternative gewesen?“
Rachel rieb sich die Augen und nickte gleichzeitig. „Wäre es vermutlich. Aber um ehrlich zu sein, ich habe zu dem Zeitpunkt überhaupt nicht darüber nachgedacht, mich an das Jugendamt zu wenden. Ich war genug damit beschäftigt, am Leben zu bleiben.“
13
„Mach' es nicht“, murmelte Rachel in seine Gedanken hinein, als nur noch sie beide in der Lounge waren. „Seit ich euch von der Abtreibung erzählt habe, willst du mich nach meiner Familie fragen, das sehe ich dir an. Mach' es nicht.“
Gendry betrachtete sie überlegend. Rachel hatte sich verschlossen, das war ihr deutlich anzusehen. Nach der Erzählung über ihre Abtreibung, hatte sich schnell eine nachdenkliche Stimmung breitgemacht, die irgendwann so erdrückend geworden war, dass Emma, Christy, Brian und Robb schließlich in ihre Kojen verschwunden waren und Rachel und ihn hier alleingelassen hatten. Damit sie in Ruhe miteinander reden konnten, das war ihm klar. Gendry wusste allerdings nicht, wie er anfangen sollte.
„Rachel ...“
„Nein!“, unterbrach sie ihn leise, aber energisch und schüttelte zusätzlich den Kopf. „Ich habe mir ein neues Leben aufgebaut. Ohne diese Menschen. Was sie damals getan haben ...“ Sie brach ab, warf ihm einen resignierten Blick zu und
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