Thurner, M: Elfenzeit 18: Rache der Verbannten
finden, seine Fesseln zu sprengen, und Alebin angreifen. Doch das Bild des an den Fels geketteten Liebsten, der von Ethon attackiert und durchspießt wurde, konnte und wollte Nadja nicht vergessen. David hatte so arm, so wehrlos ausgesehen, und sie war sich so hilflos vorgekommen.
Draußen vor dem schmalen Fenster brach die Morgendämmerung über Lyonesse herein. Schwere Regenwolken hingen über dem Land, Wind brauste durchs Efeu. Nadja schloss die Augen, müde und ausgelaugt. Vielleicht blieb ihr eine halbe Stunde, um dringend benötigten Schlaf nachzuholen.
Der rostige Wetterhahn vom Gesims des Hauptgebäudes quietschte in seinen metallenen Gelenken. Er drehte sich im aufkommenden Wind, kratzte sich am rostroten Kamm und krächzte den morgendlichen Weckruf ins Land hinaus. Augenblicklich erwachte der Rosen-Palast zum Leben, und Nadjas Zofe betrat, von Doolin, dem Buckligen, begleitet, das Zimmer. Die Nachtruhe war vorüber.
11 Begegnungen, Teil 2
Arne setzte sich mit laut knacksenden Knien ins Moos, warf die Angel aus, lehnte sich zurück und genoss die Stille. Er fühlte sich gut wie selten zuvor. Solange er sich zurückerinnern konnte, hatte er sich um die Feuerglut des Meilers nahe der Köhlerhütte bemüht. Tagaus, tagein war sie seine einzige Sorge gewesen. Sie durfte niemals ausgehen, und sie durfte sich niemals zu hell lodernden Flammen entwickeln. Arne hatte neue Luftgänge gestochen und mit nassen Decken um sich geschlagen, hatte mit bloßen Händen gegraben, war ins Innere des Feuerschachtes gekrochen, Tag für Tag und Nacht für Nacht …
Er schüttelte sich, die Angelrute zitterte mit seinen Bewegungen. Eine Entenfamilie, die sich bis auf wenige Meter an ihn angenähert hatte, ging auf etwas mehr Distanz.
All diese bitteren Erinnerungen wollten selbst in diesem Moment nicht von ihm lassen; sie blieben für immer Bestandteil seines Lebens. Niemals mehr würde er eine Nacht durchschlafen oder diese verfluchten Angstzustände ablegen, die mit seinen Schlafstörungen einhergingen.
Arne betrachtete seine nackten, von Ruß und Narben bedeckten Oberarme. Überall zeigten sich Brandwunden, ebenso am fast kahlen Kopf, entlang der Schultern, an seinen Beinen, am Rücken. Und dann der Geruch … Dieser schreckliche Rauch, manchmal kalt, manchmal warm, der ihn stets zum Husten reizte.
Arne atmete die ungewohnt frische Luft ein. Dies, ja, dies war ein Feiertag. Die Kinder waren alt genug, um einen Teil seiner Arbeit zu übernehmen. Edvard, der mittlere und geschickteste Sohn, würde in absehbarer Zeit die Verantwortung für den Meiler auf seine stämmigen Schultern laden.
Ihm selbst blieben vielleicht noch ein paar gute Jahre. Womöglich besserte sich auch sein Husten, wenn er nicht mehr tagtäglich durch Staub und Rauch kriechen musste.
Die Mutter der Entenfamilie änderte erneut den Kurs und näherte sich ihm wieder. Die Küken dahinter, sechs an der Zahl, folgten ihr bedingungslos. Sie imitierten jede Bewegung des Muttertiers. Sie lernten Vorsicht und Geduld, und sie eigneten sich die Erfahrung an, die sie brauchten, um die Unterwasserströmungen des kleinen Gewässers auszunutzen. Wer überleben wollte, musste rasch begreifen.
Arne warf die Angel ein weiteres Mal aus; in sicherer Entfernung zu den Enten, um sie nur ja nicht zu erschrecken.
Er dachte an Hilde, seine Frau. Was hatte sie bloß an ihm gefunden damals? Weder war er eine Schönheit gewesen, noch besaß er Reichtümer. Sie hingegen, die stolze Bürgerin aus dem nahe gelegenen Dorf, hatte seinetwegen das Schicksal einer Köhlerfrau gewählt. Stets war sie mit der Wäsche beschäftigt, um Staub und Gestank aus dem wenigen zu bekommen, das er sich leisten konnte. Nebenbei hatte sie fünf Kinder großgezogen – und den Tod der beiden Mädchen beklagen müssen. Hilde bekochte die Familie; sie hielt alles von ihm fern, was ihn von der Arbeit ablenkte, und sorgte dafür, dass das Geld zum Überleben reichte. Mehr konnte man in diesen Zeiten nicht verlangen.
Vor einigen Jahren hatte Arne sein Weib, erhitzt von Leidenschaft, gefragt, warum sie ausgerechnet in seine bescheidene Hütte gezogen war. Hilde hatte ihm keine Antwort gegeben, sondern ihn zärtlich auf den Mund geküsst, seine Wangen gestreichelt und ihn ein weiteres Mal aufs Strohlager gedrückt.
Sie war eine Frau. Ein rätselhaftes Geschöpf, das er wohl nie verstehen würde.
Ein kleiner Nachzügler flappte der Entenfamilie hinterher. Er besaß ein schmutzig graues Gefieder und
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