Thurner, M: Elfenzeit 18: Rache der Verbannten

einzige Tür.
    Ein Schlüssel glitt an der Außenseite ins Schloss, gleich darauf öffnete sie sich. Doolin stand mit verdrießlichem Gesichtsausdruck auf der Schwelle, und sein Pflanzenbuckel wand und bewegte sich unbehaglich. »Wie geht es dir?«, fragte er, ohne ernstliches Interesse zu zeigen.
    »Wie wohl? Ich möchte Talamh sehen. Sofort!«
    »Hab bitte ein wenig Geduld.« Noch bevor Nadja reagieren konnte, fügte er hinzu: »Mach dir keine Sorgen; es geht ihm gut. Es ist nichts mehr von seiner Wunde zu sehen.«
    Gegen ihren Willen kamen ihr augenblicklich die Tränen. Nadja konnte nicht anders, als dem Buckligen zu vertrauen. Wie sehr sie diese Worte herbeigesehnt hatte … Sie packte den völlig verdutzten Buckligen, umarmte und drückte ihn. Talamh lebte! Es ging ihm gut!
    Margarethe zog sich einige Schritte zurück und überließ das Baby ihrer Obhut. Nadjas Herz wollte schier übergehen, als sie das strahlende, breite Lächeln im Gesicht des Säuglings sah. Er wirkte so gesund, so vergnügt! War es denn zu glauben, dass er vor nur wenigen Stunden eine schmerzhafte Folterung hatte durchleben müssen?
    Das war nicht ich!
, fühlte sie Talamhs von tiefer Zuneigung durchzogene Gedanken.
Alebin könnte mich niemals verletzen; dazu ist er zu schwach, zu unbedeutend. Er hat zu einer List gegriffen, wie schon so oft in seinem Leben, und eine Larve verwendet. Was du und alle anderen gesehen habt, war ein in Alebins Augen unbedeutendes Elfenmädchen, das meine Rolle einnahm. Mir ist es unbegreiflich, dass sowohl Bandorchu als auch Fanmór auf diesen simplen Trick hereingefallen sind. Sie müssten wissen, wer und was ich bin
.
    Nadja küsste und herzte ihren Sohn; sie wollte nicht mehr von ihm ablassen. Talamh dankte es ihr auf einzigartige Weise: Aus Schränken und Tischen sprossen augenblicklich frische, Blüten tragende Pflanzen. Ein Bienenschwarm formierte sich aus dem Nichts; Nektarsammlerinnen fielen mit Heißhunger über die Blumen her, während andere Arbeiterinnen in Windeseile einen Stock erzeugten und die Königin samt Drohnen in großzügige Wabenkammern betteten. Ameisen kamen straßenweise anmarschiert, mehrere Eichelhörner lugten neugierig aus frisch genagten Löchern, Mäuse quietschten lauthals im Chor. Wiesenblätter bahnten sich mit maßloser Geschwindigkeit ihren Weg durch Spalten zwischen Pflastersteinen, und ein leises Knacken kündete davon, dass sie selbst Granit sprengen und zu Kies zu verarbeiten vermochten. Talamhs wundersame Kräfte verstärkten sich in jenem Maße, in dem Nadja ihm ihre Liebe bewies.
    Du tust mir weh, Mutti!
, rief der Kleine nach einer Weile gedanklich.
Ich kann noch nicht so viel davon aufnehmen. Ich bin schon satt, ich will nicht mehr!
    Erschrocken hielt Nadja inne. Sie ging auf geistige Distanz zu ihrem Baby und dachte tunlichst an andere Dinge. An das, was sie Alebin antun wollte, zum Beispiel.
    Derzeit scheint er nur schwer angreifbar zu sein
, überlegte sie.
Er hält Fanmór wie auch Bandorchu auf Distanz. Cunomorus ist ein gebrochener Mann; auf ihn kann ich mich nicht verlassen. Doolin, so verbindlich er sich auch gibt, würde mir jegliche Hilfeleistung verweigern. Der Bucklige steht zu sehr unter Alebins Knute
.
    An wen konnte sie sich wenden? Sicherlich formierte sich in breiten Schichten der Bevölkerung Widerstand gegen den neuen Herrscher; doch sie sah keine Möglichkeit, aus ihrem gläsernen Käfig auszubrechen und unerkannt in die Stadt zu gelangen … Aber warum sollte sie so weit schweifen und einen langwierigen Suchprozess beginnen, wenn mögliche Helfer ganz nahe waren?
Könnten mir vielleicht die Harpyien beistehen …?
    Sie sind launische und widerspenstige Geschöpfe
, meldete sich Talamh gedanklich zu Wort.
Du musst sie an dich binden, bevor du sie in deinem Sinne einsetzt. Das Angebot, sie in unser Familienwappen aufzunehmen, war ein ausgezeichneter Schachzug
.
    Nadja atmete tief durch. Sie wusste nicht, ob sie sich freuen oder ärgern sollte. Talamh wühlte in ihren Gedanken und nahm sich rücksichtslos, was er wissen wollte. Die Erziehung dieses Wunderknaben würde ihr eine Menge Sorgen bereiten und sie vorzeitig ergrauen lassen. Wie brachte man einem Kind, das alles jederzeit erfahren und besitzen konnte, seine Grenzen bei? Sie würde beizeiten Rat an Fanmórs Hof suchen müssen. Vielleicht hatten Pirx und der Grogoch Lust …
    Schon wieder schweifte sie ab! Die Gefahr, sich Tagträumen zu ergeben und die unmittelbaren Probleme aus den Augen zu