Thurner, M: Elfenzeit 18: Rache der Verbannten
Lücke nutzen, die Winkel und Ecken der Burg besetzen. Werk der Zerstörung. Bandorchus Sitz war somit der Vernichtung preisgegeben. In tausend Jahren, so schätzte Alebin, dürfte der Staub die Dächer, Grundmauern und Einrichtungsgegenstände aufgefressen und die Fundamentsteine der Schwesternschaft erreicht haben.
»Ich versprach, euch zu befreien«, sagte Alebin, »aber ich sagte niemals, wie lange es dauern würde.«
Ein entsetzter Aufschrei erreichte ihn. Die Geister wollten sich auf ihn stürzen, ihn in die Knie zwingen und Besitz von ihm ergreifen. Doch sie konnten es nicht. Erst wenn der letzte Stein zerstört war, in mehr als tausend Jahren, hatten sie ihre Freiheit zurück.
Alebin kicherte unterdrückt. Er war zufrieden. Ihm war ein Schurkenstück gelungen, an dem selbst die alten Götter der Heimtücke ihre Freude gehabt hätten.
Beschwingt machte er sich auf den Weg, der Bestie hinterher. Seine Laune hatte sich nachhaltig gebessert, und der Marsch über die Spiegelebene erschien ihm mit einem Mal nur noch halb so schwer.
18 Eine alte, neue Allianz
Podarge wählte einen der alten Wege. Einen jener Pfade, die aus einer Zeit stammten, als intelligenzbehaftete Wesen es noch nicht gewagt hatten, Füße auszubilden und mit ihnen den Boden urtümlicher Welten zu betreten. Sie hatten entweder die Ozeane bevölkert oder sich wie die Harpyien in Felsklüften, Baumkronen und Gestrüpp festgeklammert. Oh, wie war das Leben unkompliziert gewesen, damals …
In einem Wachtraum trieb sie die Spuren des Weges entlang. So lange, bis sie spürte, dass sie die Welt der Menschen erreicht hatte und von den Pfaden der Erinnerung ablassen musste.
Punktgenau landete Podarge dort, wo sie hingewollt hatte.
Nadja, die hässliche Sterbliche, hatte ihr ihren Ansprechpartner ganz genau beschrieben.
Und sie meinte ihn zu kennen. Nein! Je länger sie ihn betrachtete, desto sicherer war sie sich. »Interessant!«, sagte sie krächzend. »
Du
bist also der Getreue! Ich hätte es mir denken können …«
»Was willst du?«, fragte ihr Gegenüber. Wie es seinem Selbstverständnis entsprach, war der Getreue in einen Kapuzenmantel gehüllt.
»Ich bringe Nachricht«, antwortete Podarge. Sie dachte nicht länger über die Konsequenzen ihrer Entdeckung nach. Was kümmerte es sie, wer sich hinter diesem grob gewobenen Tarngewand verbarg? Sollten sich doch die Könige und die hohen Herrscher mit diesem Problem beschäftigen. Für sie und ihre Sippe war einzig und allein Nadjas Versprechen von Bedeutung. Dieses zerrupfte Wesensding erschien Podarge trotz ihres Status als Halbmensch als vertrauenswürdig.
Podarge unterdrückte ein amüsiertes Kröpfen. Man sollte eben niemals von Aussehen und Herkunft auf den Charakter eines Wesens schließen.
»Red schon!«, forderte der Getreue barsch.
»Nadja schickt mich«, sagte Podarge. »Sie möchte, dass ihr euch bereithaltet.«
»Wen meint sie mit
euch?
«
»Königin Bandorchu und Fanmór. Sie sollen zu einer Allianz finden und gemeinsam gegen Alebins Truppen angehen, sobald sich eine Möglichkeit eröffnet. Und diese Chance
wird
sich ergeben. Dafydd arbeitet bereits darauf hin.«
»Wir sollen auf die wirren Fantasien dieser beiden Narren vertrauen? Ich fürchte, Nadja und Dafydd überschätzen sich.«
»Dummkopf!«, kreischte Podarge. »Ahnungsloser Tölpel!« Warum gab sich ein Geschöpf, das so
allumfassend
wie er war, so unglaublich begriffsstutzig? »Nadja trägt die Worte eines anderen, viel Größeren weiter. Ihr Sohn lenkt und steuert, auch wenn seine Möglichkeiten noch längst nicht ausgereizt sind.«
»Talamh … Ist er wirklich schon so weit? Die Magie, die in Lyonesse wirkt, muss seine Kräfte potenzieren.« Der Getreue versank in Gedanken, um nach wenigen Augenblicken wieder zu sich zu kommen. »Du hast richtig gehandelt, Harpyie, indem du mich aufsuchtest. Ich vermute, dass die Belohnung für deine Mithilfe groß genug ausfällt. Darf ich dich bitten, Nadja meine Antwort zu übermitteln?«
»Du
bittest
mich darum? Welch Ehre …«
»Ich könnte dich auch zwingen. Aber ich kenne die Geschichte eures Geschlechts, und ich weiß, dass ihr höchsten Respekt verdient. Immerhin seid ihr viel, viel länger hier als Menschen und Elfen.«
»Nur weiter so«, sagte Podarge, in ihrer Eitelkeit geschmeichelt. »Diese Beweihräucherungen bringen mein Federkleid zum Kribbeln. Ich hätte Lust, einen jungen Gott zu vernaschen, so erregt bin ich mit einem Mal.«
Der Getreue blieb stumm.
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