Thursday Next 01 - Der Fall Jane Eyre
sobald Sie dazu in der Lage sind. Ich möchte Sie jedoch daran erinnern, daß Sie zum Stillschweigen verpflichtet sind.
Ein falsches Wort könnte überaus ärgerliche Konsequenzen haben.
Haben Sie uns noch etwas zu sagen?«
Ich holte tief Luft. »Ich weiß, vieles von dem, was ich Ihnen erzählt habe, klingt unglaubwürdig, aber es ist die Wahrheit. Ich bin die erste Zeugin, die mit eigenen Augen gesehen hat, wie weit Hades zu gehen bereit ist, um sein Ziel zu erreichen. Wer auch immer in Zukunft mit seinem Fall zu tun hat, sollte sich darüber im klaren sein, wozu er fähig ist.«
Flanker lehnte sich zurück und warf dem Mann mit dem Tic einen fragenden Blick zu; der nickte.
»Nicht nötig, Miss Next.«
»Wie meinen Sie das?«
»Hades ist tot. Obwohl man ihnen eine gewisse Schießwut schwerlich wird absprechen können, sind die Kollegen von SO-14 beileibe keine Totalversager. Sie haben ihn an jenem Abend über die M4 verfolgt, bis er an der Anschlußstelle Zwölf die Kontrolle über sein Fahrzeug verlor und eine Böschung hinunterraste. Der Wagen explodierte und brannte aus. Wir wollten es Ihnen nicht sagen, bevor wir Sie nicht vernommen hatten.«
Die Nachricht traf mich wie ein Faustschlag in den Magen. Rache war eines der wenigen Gefühle, mit denen ich mich über die vergangenen zwei Wochen gerettet hatte. Ohne das brennende Verlangen, Hades seiner gerechten Strafe zuzuführen, hätte ich vermutlich gar nicht durchgehalten. Ohne Acheron konnte niemand meine Aussagen bestätigen. Zwar hatte ich nicht erwartet, daß man mir alles glaubte, aber so konnte ich mich wenigstens darauf freuen, rehabilitiert zu werden, wenn andere seine Bekanntschaft machten.
»Wie bitte?« fragte ich.
»Ich habe gesagt, Hades ist tot.«
»Nein, niemals«, widersprach ich, ohne nachzudenken.
Flanker glaubte vermutlich, ich stünde immer noch unter Schock.
»Auch wenn es Ihnen schwerfällt, das zu akzeptieren: Er ist tot. Bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Wir mußten ihn anhand seiner zahnärztlichen Unterlagen identifizieren. Er hatte immer noch Snoods Pistole bei sich.«
»Und das
Chuzzlewit
-Manuskript?«
»Keine Spur – vermutlich ebenfalls verbrannt.«
Ich sah zu Boden. Der Einsatz war ein einziges Fiasko gewesen.
»Miss Next«, sagte Flanker, stand auf und legte mir eine Hand auf die Schulter, »es wird Sie freuen zu hören, daß alles unter SO-8 strengster Geheimhaltung unterliegt. Sie können also bedenkenlos zu Ihrer Abteilung zurückkehren, Ihre Akte bleibt ohne Fehl und Tadel.
Es gab zwar Pannen, aber wer weiß schon, wie die Sache unter anderen Umständen ausgegangen wäre. Uns werden Sie jedenfalls nicht wiedersehen.«
Er stellte den Cassettenrecorder ab, wünschte mir gute Besserung und ging zur Tür hinaus. Die anderen Beamten taten es ihm nach, bis auf den Mann mit dem Tic. Er wartete, bis seine Kollegen außer Hörweite waren, und raunte mir dann zu: »Ich halte Ihre Aussage für Schwachsinn, Miss Next. Das Amt kann es sich nicht leisten, Leute vom Schlage eines Fillip Tamworth zu verlieren.«
»Danke.«
»Wofür?«
»Dafür, daß Sie mir seinen Vornamen genannt haben.«
Der Mann wollte noch etwas sagen, besann sich dann aber doch eines Besseren und ging.
Ich stand auf und starrte aus dem Fenster des provisorischen Verhörraums. Draußen war es sonnig und warm, und die Bäume wiegten sich sanft im Wind; die Welt sah aus, als sei für Menschen wie Hades auf ihr wenig Platz. Die Gedanken an besagte Nacht kehrten zurück. Die Sache mit Snood hatte ich ihnen wohlweislich verschwiegen. Acheron hatte auf Snoods müden und verbrauchten Körper gezeigt und gesagt: »Ich soll dir von Filbert ausrichten, daß es ihm leid tut.«
»Das ist Filberts Vater!« verbesserte ich ihn.
»Nein«, sagte er kichernd. »Das war Filbert.«
Ich sah mir Snood noch einmal an. Er lag mit offenen Augen auf dem Rücken, und die Ähnlichkeit war unverkennbar, trotz der vierzig Jahre Altersunterschied.
»O Gott, nein! Filbert? Wirklich?«
Acheron schien sich königlich zu amüsieren.
»Bis
auf weiteres verhindert
ist der gängige Chrono-Garden-Euphemismus für eine Zeitaggregation, Thursday. Komisch, daß du das nicht wußtest. Eine Minute außerhalb des Hier und Jetzt, und schon bist du sechzig Jährchen älter. Kein Wunder, daß er sich nie wieder bei dir gemeldet hat. Er wollte nicht, daß du ihn so siehst.«
Also doch keine Frau in Tewkesbury. Mein Vater hatte mir genug von Temporaldilationen und Zeit-Verzerrungen
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