Thursday Next 01 - Der Fall Jane Eyre
und vorzeitig in Rente geschickt werden.
»Einmal«, flüsterte ich. »Als kleines Mädchen. Ich glaube nicht, daß sich das wiederholen läßt. Ich habe jahrelang geglaubt, ich hätte mir das alles nur eingebildet.«
Gerade als ich ihm erzählen wollte, daß Rochester nach der Schießerei in Styx’ Wohnung in den Roman zurückgesprungen war, streckte Bowden den Kopf in den Flur und rief uns herein.
Mr. Rumplunkett hatte seine vorläufige Untersuchung beendet.
»Ein glatter Herzdurchschuß, sehr sauber, sehr professionell.
Darüber hinaus weist der Leichnam keinerlei Besonderheiten auf, abgesehen von Anhaltspunkten für eine Rachitis im Kindesalter. Da diese Krankheit heutzutage ziemlich selten auftritt, dürfte es nicht allzu schwierig sein, sie zurückzuverfolgen, es sei denn natürlich, er hat seine Jugend im Ausland verbracht. Sehr schlechte Zähne und Lausbefall. Auch hat er seit mindestens vier Wochen nicht gebadet.
Ansonsten kann ich Ihnen nicht viel sagen, außer daß seine letzte Mahlzeit aus Schmalz, Hammelfleisch und Bier bestand. Mehr weiß ich erst, wenn die Gewebeproben aus dem Labor zurück sind.«
Victor und ich sahen uns an. Ich hatte recht gehabt. Der Tote mußte Mr. Quaverley sein. Eilig suchten wir das Weite; ich erklärte Bowden, wer Quaverley war und woher er kam.
»Das verstehe ich nicht«, sagte Bowden auf dem Weg zum Wagen.
»Wie ist es Hades gelungen, Mr. Quaverley aus
jedem
Exemplar von
Martin Chuzzlewit
zu entfernen?«
»Er hat das Originalmanuskript gestohlen«, antwortete ich. »Auf diese Weise konnte er den größtmöglichen Schaden anrichten. Sämtliche Exemplare, egal wo, egal in welcher Form, gehen auf diesen ersten Schöpfungsakt zurück. Wenn sich das Original verändert, verändern sich auch alle anderen. Wenn man hundert Millionen Jahre zurückreisen und den genetischen Code der ersten Säugetiere verändern könnte, sähen wir alle völlig anders aus. Das wäre in etwa dasselbe.«
»Gut«, sagte Bowden langsam, »aber was verspricht Hades sich davon? Wenn es um Erpressung geht, warum hat er dann Quaverley umbringen lassen?«
Ich zuckte die Achseln. »Vielleicht war das nur eine Art Warnschuß. Vielleicht hat er ganz andere Pläne. Es gibt schließlich weitaus größere Fische als Mr. Quaverley aus
Martin Chuzzlewit.«
»Und warum schweigt er sich darüber dann aus?«
21. Hades & Goliath
Das Schicksal hat es gut mit mir gemeint. Nur wenige Menschen wissen, wann und warum sie etwas tun sollen.
Schließlich hat jede scheinbar noch so unbedeutende Handlung für unsere Umwelt unvorhersehbare Konsequenzen. Zum Glück hatte ich von Anfang an ein klares Ziel vor Augen.
THURSDAY NEXT Ein Leben für SpecOps
Die Antwort ließ nicht auf sich warten. Als ich aufs Revier zurückkam, lag ein Brief auf meinem Schreibtisch. Vielleicht von Landen? Fehlanzeige. Auf dem Umschlag klebte keine Marke, und er war vormittags gekommen. Niemand wußte, wer ihn abgegeben hatte.
Sofort nachdem ich es gelesen hatte, rief ich Victor und legte das Blatt Papier auf meinen Schreibtisch, damit ich es möglichst nicht anzufassen brauchte. Victor setzte seine Brille auf und las den Brief laut vor.
Liebe Thursday,
als ich hörte, daß Du Dich hast versetzen lassen, glaubte ich zunächst an eine göttliche Fügung. Vielleicht können wir unsere Differenzen jetzt beilegen. Mr. Quaverley war nur der Anfang. Als nächstes muß Martin Chuzzlewit persönlich dran glauben, es sei denn, ich bekomme 10 Millionen Pfund in gebrauchten Scheinen, einen Gainsborough, vorzugsweise den Knaben in Blau, und eine Inszenierung von Macbeth am Old Vic (Spielzeit: acht Wochen) für meinen Freund Thomas Hobbes. Außerdem möchte ich, daß Ihr eine Autobahnraststätte nach der Mutter eines meiner Mitarbeiter auf den Namen »Leigh Delamare« tauft. Signalisiert Euer Einverständnis durch eine Kleinanzeige in der Mittwochsausgabe des Swindon Globe, in der Ihr Angorakaninchen zum Verkauf anbietet. Dann erhaltet Ihr weitere Instruktionen.
Victor sank auf einen Stuhl. »Die Unterschrift stammt von Acheron selbst! Stellen Sie sich vor:
Martin Chuzzlewit
ohne
Chuzzlewit
!« rief er. »Das Buch wäre nach einem halben Kapitel zu Ende. Können Sie sich einen Roman vorstellen, in dem die Charaktere tatenlos herumsitzen und auf das Eintreffen der Hauptfigur warten. Das wäre wie
Hamlet
ohne den Prinzen!«
»Und was machen wir jetzt?« fragte Bowden.
»Wenn Sie nicht gerade einen Gainsborough und zehn Millionen in kleinen
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