Thursday Next 02 - In einem anderen Buch
meinem Seelenfeuer Zunder,
So sitz ich eifernd geifernd eingesperrt in diesen Text.
»Holt mich raus!« so ruf ich rasend. »Ich will raus aus diesem Kerker,
Sonst puste ich euch alle weg!«
Sieht so aus, als wäre er immer noch ziemlich wütend, dachte ich. Er versucht den Text immer noch umzudichten.
Ich erinnere mich genau,
Der Septembertag war grau,
Als mich die üble Spec-Op-S-Frau
Durch die Tür des ›Rabens‹ lockte,
Wo seither ich trübe hocke.
Die Tat wär sicher schnell vollbracht,
Dass ich mich in die Freiheit rette,
Wenn ich bloß eine Knarre hätte,
Und dem Weib gäb ew'ge Nacht.
»Er wird Ihnen natürlich kein Haar krümmen, Miss Next«, versicherte Schitt-Hawse. »Er wird festgenommen, ehe Sie Ketchup sagen können.«
Also sammelte ich meine Gedanken, entschuldigte mich innerlich bei Miss Havisham für meinen Ungehorsam, räusperte mich, um sowohl die Kehle als auch das Gemüt von allen Klebrigkeiten zu reinigen, und fing laut an zu lesen.
Ich hörte entferntes Donnergrollen und spürte Flügelschlag vor meinem Gesicht. Eine tintige Schwärze umgab mich, ein heftiger Windstoß zerrte an meinen Kleidern und wehte mir das Haar in die Augen. Ein Blitz erhellte den Himmel um mich herum, und mir wurde schlagartig klar, dass ich hoch über dem Erdboden schwebte. Der Regen schlug mir ins Gesicht, und ich erkannte im schwachen Mondlicht, dass ich zwischen schwarzen Gewitterwolken dahinsegelte. Als ich gerade zu dem Schluss gelangt war, dass ich womöglich einen Riesenfehler gemacht hatte, dieses Abenteuer ohne die richtige Schulung und Vorbereitung begonnen zu haben, fiel mir zwischen den wirbelnden Regentropfen ein winziges gelbes Licht auf. Es wurde rasch größer, und ich erkannte, dass es nicht bloß ein Pünktchen war, sondern ein helles Rechteck. Aus dem Rechteck wurde ein Fenster mit Fensterrahmen und Glasscheiben und Vorhängen. Mein Sturzflug beschleunigte sich, und gerade als ich dachte, ich müsste mit dem Kopf an das Glas schlagen, war ich plötzlich im Inneren des Hauses, wenn auch atemlos und völlig durchnässt.
Die Uhr auf dem Kaminsims schlug Mitternacht, als ich mich zu sammeln versuchte und mich umsah. Die Möbel waren aus poliertem, schwarzem Eichenholz, die Vorhänge dunkelrot und die Wände, soweit sie nicht von Bücherborden und morbiden Kupferstichen bedeckt waren, zeigten ein trübes Braun. Die Beleuchtung bestand aus einer einzelnen, flackernden Öllampe, deren ungestutzter Docht hemmungslos rauchte. Der Raum war in schrecklicher Unordnung; die Büste der Pallas Athene lag zerschmettert vor dem Kamin, und die Bücher, die einst die Wände geziert hatten, lagen mit gebrochenen Rücken und herausgerissenen Seiten am Boden. Einige waren offensichtlich zum Feuermachen benutzt worden, und überall flogen angesengte und halb verbrannte Seiten und Aschenreste herum. Aber all das interessierte mich nicht übermäßig, denn vor mir saß das lyrische Ich des Gedichts, ein junger Mann Mitte zwanzig, gefesselt und geknebelt auf seinem Lehnsessel und sah mich flehentlich an. Vergeblich kämpfte er gegen die Vorhangschnur, die ihn an den Stuhl fesselte, und die Worte, die er hervorzustoßen versuchte, blieben unhörbar. Ich entfernte sowohl den Knebel als auch die Stricke, und sofort begann der junge Mann lauthals zu deklamieren:
»Ein Besucher ist's an meiner Tür«, rief er hastig, als ob sein Leben davon abhinge. »Nur das und weiter nichts!«
Damit verschwand er durch die Tür ins Nebenzimmer.
»Verdammt, Sebastian!«, brüllte eine erschreckend vertraute Stimme. »Muss ich dich denn an den Stuhl nageln? Wenn es bloß Hammer und Nägel in diesem verfluchten lyrischen Loch gäbe!«
Die Stimme kam näher, unterbrach sich aber sofort, als der Sprecher den Raum betrat und mich dort erblickte. Jack Schitt war in kläglichem Zustand. Sein ehemals kurzer Haarschnitt war zu einer strähnigen Mähne geworden, und sein Kinn war von struppigen Borsten bedeckt. Seine Augen waren hohl und zeigten schwarze Ringe, er litt offenbar unter Schlafmangel. Sein schicker Anzug war zerknittert, und der Diamant auf seiner Krawattennadel hatte allen Glanz eingebüßt. Seine arrogante Haltung war gänzlich verschwunden, und als unsere Blicke sich trafen, sah ich Tränen in seinen Augen aufschießen. Seine Lippen begannen zu zittern. Für eine entschlossene Schitt- Hasserin war es ein höchst erfreulicher Anblick.
»Thursday!« rief er mit brechender Stimme. »Nehmen Sie mich mit zurück!
Weitere Kostenlose Bücher