Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin
ging mit langsamen Bewegungen durch die zum Schneiden dicke Luft und kniete neben Gundhalinu nieder. »BZ?« Sie wußte, er wollte nicht, daß sie fragte, wußte aber auch, daß sie es tun mußte. Sie berührte seine Schulter. Sogar durch seinen dicken Mantel konnte sie ihn zittern fühlen. »BZ ...«
»Laß mich allein!«
»Nein.«
»Um Himmels willen, ich bin keines ihrer Tiere.«
»Ich auch nicht. Weis mich nicht ab!« Sie grub ihre Finger in seinen Arm und zwang ihn so, ihr seine Aufmerksamkeit zu schenken.
Er rollte sich auf den Rücken und betrachtete sie mit leeren Augen. »Und ich dachte, es könnte nicht mehr schlimmer kommen!«
Mond nickte und sah auf ihn hinab. »Vielleicht wird es ja tatsächlich besser.«
»Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Erzähl mir nicht, daß es eine Zukunft gibt. Ich ertrage es gerade noch, an das Morgen zu denken.«
Sie sah das kaputte Instrument, das Taryd Roh auf dem Boden hatte liegen lassen, neben ihrem Knie. »Kannst du das reparieren?«
»Mit verbundenen Augen«, antwortete er mit einem dünnen Lächeln. »Wenn ich zwei gesunde Hände hätte. Habe ich aber nicht!«
»Du hast drei.« Mond tätschelte seine Hand wie eine Amme.
Er nahm die andere Hand hoch und legte sie unbeholfen über ihre. »Ich danke dir.« Er atmete tief durch und richtete sich auf. »Taryd Roh erwischte mich dabei, wie ich Blodweds Radio umbauen wollte. Nachdem er mit mir fertig war, konnte ich drei Tage lang keinen Schritt tun. Und, ihr Götter, es machte ihm
Spaß!«
Er strich mit einer Hand über sein Haar. Mond sah, daß sie zitterte. »Ich weiß nicht, was er in der Stadt getan hat – aber er muß gut darin gewesen sein.«
Mond erschauerte und verdrängte den Gedanken an Taryd Rohs Berührung aus ihrem Gedächtnis. »Deshalb ...?« Sie betrachtete seine Hände, die Narben.
»Alles! Alles war deshalb.« Er schüttelte den Kopf. »Ich bin ein Hochwohlgeborener, ein Tech, ein Kharemoughi! Und nun von diesen Wilden wie ein Sklave behandelt zu werden – schlimmer als ein Sklave! Niemand mit einem Funken Ehrgefühl kann so weiterleben, ohne Ehre, ohne Hoffnung. Daher versuchte ich, das einzig Ehrenvolle zu tun.« Das sagte er mit absolutem Gleichmut. »Aber Blodwed fand mich hier, bevor ... ich fertig war.«
»Hat sie dich gerettet?«
»Natürlich!« Mond hörte deutlich den Haß heraus. »Was kann man schon mit einem Toten anfangen?« Er betrachtete seine nutzlose Hand. »Ein Krüppel ... Ich weigerte mich, zu essen – bis sie mir androhte, sie würde mich von Taryd Roh füttern lassen. Fünfzehn Minuten, und er hätte mich dazu gebracht, Scheiße zu fressen.« Er versuchte sich zu erheben, fiel aber auf das Lager zurück und hustete, bis ihm Tränen in die Augen traten. »Und dann war da noch der Sturm ... « Er breitete hilflos die Arme aus, als wollte er ihr damit demonstrieren, wie sehr er versucht hatte, das Richtige zu tun.
Aus Furcht, ihn nicht ganz richtig zu verstehen, sagte sie lediglich: »Und jetzt?«
»Und jetzt ist alles anders. Ich ... ich muß außer an mich auch noch an jemand anders denken.« Sie wußte nicht, ob er darüber froh war oder es bedauerte.
»Ich bin froh, daß es dir nicht gelungen ist, BZ«. Sie blickte ihn an. »Wir werden hier herauskommen, BZ, das weiß ich genau.«
Es ist noch nicht vorüber.
Plötzlich war sie wieder ganz sicher.
Er schüttelte den Kopf. »Für mich spielt das keine Rolle mehr. Es ist zu spät, ich bin schon zu lange hier.« Er hob ihr Kinn mit einem Finger. »Doch ich hoffe deinetwegen.«
»Es ist nicht zu spät.«
»Das verstehst du nicht.« Er zupfte am Reißverschluß seines Uniformmantels. »Ich bin schon seit Monaten hier, alles ist aus. Der Ball, die Veränderung, der Rückzug ... inzwischen hat jeder diese Welt verlassen. Für immer.« Sein ausgezehrtes Gesicht verzog sich. »Im Traum vernehme ich den Ruf meiner Heimatwelt, doch kann ich nicht antworten ... ‹«
»Aber das stimmt nicht. Es ist noch nicht passiert.«
Er keuchte, als hätte sie ihn geschlagen. Er zog sie zu sich herunter, schüttelte sie fast. »Ist das wahr? Wie lange? Wie lange noch? Oh, Götter, sag mir, daß es wahr ist!«
»Es
ist
wahr.« Atemlos. »Aber ich weiß nicht, wie lange noch ... ich meine, ich bin nicht sicher ... eine Woche, zwei ... bis zu den Festlichkeiten.«
»Eine Woche?« Er ließ sie los und sank wieder gegen seinen Verschlag zurück. »Mond ... verdammt, ich habe keine Ahnung, ob dich der Himmel oder der Teufel schickt ...
Weitere Kostenlose Bücher