Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin
unter die Decken griff. Sie fand das zerlesene Buch und reichte es ihm. »Und am Ende denkt sie, er stirbt, während er denkt, sie sei bereits tot. Das ist alles so furchtbar traurig.« Sie grinste teuflisch.
»Blodwed ... ich werde dir eine Geschichte erzählen«, sagte Mond plötzlich, als hätte die Muse sie geküßt. Sie setzte sich mit überkreuzten Beinen hin. Die Starls kamen herbeigehuscht, verscheuchten die Vögel und legten die pelzigen Schnauzen in ihren Schoß. »Von mir, meinem Geliebten, von Techschmugglern und Karbunkel.«
Und du wirst zuhören und verstehen.
Sie spürte, wie die Kraft der Inspiration über sie kam, als wäre sie besessen.
Und dann wiederholte sie die ganze Geschichte noch einmal, riß dabei aber die Barrieren ein, die ihre Gefühle bisher zurückgehalten hatten, ließ Funkes lachendes Gesicht im Sonnenschein, ließ seine Musik wieder erstehen, die über das Meer hallte, spürte seine Nähe wie Feuer ... empfand sein Weggehen als Unrecht, das ihr etwas von ihrer Seele aus dem Leibe riß. Und sie ließ keine Einzelheit dessen, was sie gesehen und getan hatte aus
(»Du meinst, du hast wirklich nicht gewußt, daß es fünf Jahre dauern würde, nach Kharemough und zurück zu reisen? Du bist aber dumm!«)
(»Man lernt nie aus.«)
... die Leute, die versucht hatten, ihr zu helfen, der Preis, den sie dafür bezahlt hatten. »Und dann sah ich bei dem Schwarzgekleideten am Strand, der die Mers tötete, sein Medaillon ... Es war Funke. Ich hatte ihn endlich gefunden.« Sie senkte den Kopf und hielt sich mit einer Hand die geschwollene Wange, erinnerte sich aber nur an seine Zärtlichkeiten.
»Du meinst ... er ist Starbuck?« flüsterte Blodwed ehrfürchtig. »Ach du Scheiße! Dein Geliebter hat die Mers getötet .. . Und ... und du liebst ihn immer noch?«
Mond nickte stumm, ihre Lippen zitterten.
Alles soll verdammt sein, was ich tue!
Sie hielt den Atem an und rang um ihre Selbstbeherrschung, während sie wieder in die Gegenwart zurückglitt, um Blodweds Reaktion abzuwägen.
Blodwed wischte sich mitfühlend die Augen und kratzte sich am Kopf. Ihr kupferfarbenes Haar stand wie Stroh ab. »Oh .. . das ist ungerecht. Jetzt wird er sterben, und er wird nie erfahren ... «
»Was?« Mond erstarrte.
»Die Veränderung«, warf Gundhalinu ein. »Der letzte Ball, das Ende von Winter. Das Ende der Schneekönigin – und des Starbucks. Sie werden gemeinsam ertränkt.« Er betrachtete sie mit unausgesprochenem Verständnis. »Das Ende von allem.«
Mond richtete sich auf die Knie empor, stieß die Starls von sich und brach damit den Bann, den sie über Blodwed geworfen hatte. »Mutter von Uns Allen, wir haben kaum mehr Zeit!
Blodwed, du mußt uns gehen lassen! Ich muß ihn finden, ich muß noch vor der Veränderung nach Karbunkel.«
Blodwed stand auf, ihr Gesicht wurde hart. »Ich muß überhaupt nichts. Das hast du dir alles nur ausgedacht, damit ich euch gehen lasse. Aber darauf werde ich nicht hereinfallen!«
»Es ist
keine
Lüge, Funke ist Starbuck, und er wird sterben .. . Ich kann nicht das alles durchgemacht haben, nur um hier ...« Sie schüttelte sich, damit ihre Stimme nicht von Panik überwältigt wurde. »Wenn ich nach Karbunkel komme, dann kann BZ mir helfen, Funke rechtzeitig zu finden. Und wenn er nicht rechtzeitig dort ankommt, werden seine Leute den Planeten verlassen, und er muß allein zurückbleiben. Wir haben nicht einmal mehr vierzehn Tage Zeit .. .«
»Dann wird in vierzehn Tagen alles vorüber sein, und keiner von euch wird sich deswegen Kummer machen. Also könnt ihr für immer hier bei mir bleiben.« Blodwed überkreuzte die Arme, in ihren Augen flammte Verrat.
»In vierzehn Tagen wird mein Leben ohne Bedeutung sein ... « Mond stand auf, die Felswände schienen auf sie einzustürmen. »Bitte, Blodwed! Hilf uns!«
»Es ist mir egal, ob es wahr ist! Ihr schert euch nicht um mich, weshalb sollte ich mich um Euch scheren?« Blodwed packte den Ärmel von Monds Tunika und riß ihn bis zum Gelenk auf. Sie stürmte hinaus und schlug die Tür heftig hinter sich zu.
»Das verstehe ich nicht«, murmelte BZ zwischen Ironie und Verzweiflung. »Die Geschichten, die ich lese, haben immer ein Happy End.«
Als sie spät in der Nacht immer noch schlaflos dalag, merkte sie plötzlich, wie die Starls an ihrer Seite erwachten und lauschten. Sie lauschte mit ihnen und vernahm gedämpfte Schritte aus dem stillen Lager jenseits der Tür. Sie richtete sich auf und blinzelte in die Glut
Weitere Kostenlose Bücher