Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin
vergeben und vergessen. Sie spürte, wie sich der Elffuchs zwischen ihnen regte. »Das werde ich.«
Sie schoben den Schlitten gemeinsam in den offenen Schnee, Mond nahm hinter den Kontrollen Platz. Sie aktivierte die Energiezufuhr gemäß den gemurmelten Anweisungen Gundhalinus.
»He, Blodwed.« Gundhalinu wandte sich noch einmal über die Schulter nach ihr um. »Hier.« Er warf ihr den zerlesenen Roman zu. »Ich glaube nicht, daß ich das jemals wieder lesen werde.« Er lächelte nicht.
»Ich kann es auch nicht lesen. Es ist in deiner Sprache!« »Das war doch bisher auch kein Hinderungsgrund für dich.« »Macht verdammt nochmal, daß ihr verschwindet!« Sie winkte drohend mit dem Buch, doch Mond sah ihr Lächeln. Mond schaltete ihre Helmlampe ein, dann begannen sie ihre Reise in den Norden.
34
Arienrhod saß im Thron des Audienzsaals, wo sie – keine vierzehn Tage würden bis dahin mehr vergehen – den Premierminister der Hegemonie empfangen würde, wenn er zu seinem letzten offiziellen Besuch kam. Sie fragte sich, ob er sie anklagen würde. Im Augenblick handelte es sich lediglich um die Polizeikommandantin, und es bedurfte keiner großen Phantasie, um den Grund ihres Besuches zu erraten. Es war ein Zeichen für den großen Erfolg Starbucks, daß sie sich höchstpersönlich herbemühte.
PalaThion ließ ihre Eskorte am anderen Ende des Saals bei den klatschenden Adligen zurück, wahrscheinlich, um es den beiden Männern zu ersparen, niederknien zu müssen. Sie selbst war auch nicht mehr bereit, zu knien, seit sie Kommandantin geworden war – ein kleiner Sieg, den sie errungen hatte, den einzigen. Arienrhod lächelte in sich hinein, als PalaThion den Helm abnahm und sich förmlich verbeugte. »Eure Majestät.«
»Kommandant PalaThion. Sie sehen schrecklich aus, Kommandant – sie scheinen zu hart zu arbeiten. Der Rückzug Ihrer Leute von Tiamat ist doch nicht das Ende der Welt. Sie sollten etwas mehr auf sich achten, sonst werden Sie noch vor ihrer Zeit altern.«
PalaThion sah mit kaum verhohlenem Haß und kaum spürbarer Verzweiflung zu ihr auf. »Es gibt Schlimmeres als alt zu werden, Eure Majestät.«
»Ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen.« Sie lehnte sich zurück. »Was verdanke ich die Ehre Ihres Besuchs, Kommandant?«
»Zwei Dingen, die ich als schlimmer ansehe, Eure Majestät: Mord und illegale Jagd auf Mers.« Sie sagte es, als wäre sie der Meinung, dabei gebe es keinen Unterschied.
»Ich komme mit einem Haftbefehl für Starbuck, er ist des Mordes und des Tötens von Mers auf Land, das einem Außenweltler namens Ngenet gehört, angeklagt, wie Sie sicher wissen.« Ihre Augen blickten sie anklagend an.
Arienrhod zog die Brauen in die Höhe, schauspielerte ihre Überraschung aber nur schlecht.« Mord? Das muß ein Irrtum sein, sicher gibt es eine andere Erklärung.«
»Eine Leiche habe ich mit eigenen Augen gesehen, außerdem die Kadaver der toten Mers.« PalaThion blinzelte angesichts der Erinnerungen und zog die Mundwinkel nach unten. »Es war kein Irrtum, und es gibt keine andere Erklärung. Ich will Starbuck, und ich will ihn jetzt ... Eure Majestät!«
»Selbstverständlich, Kommandant. Ich möchte ihn gerne selbst über die Vorgänge befragen.« Sie hatte in der kurzen Zeit, seit es geschehen war, keine näheren Informationen über Monds Rückkehr erhalten können. Aber nun ... »Funke!« Sie sah hinüber zu der Gruppe der Adligen, die zu ihrer Erbauung ihre Ballkostüme vorgeführt hatten, unter die er sich gemischt hatte. Da sie reich waren, hatten sie bereits die schönsten und kostbarsten Stücke der Maskenmacherin kaufen können, zu denen sie auch die entsprechenden Kostüme erstehen konnten. Sie standen beieinander wie eine Gruppe wunderbarer, greulicher Bestien, ihre mutierten Totemgesichter starrten sie gleichgültig an – wie Geschöpfe aus einer Drogenphantasie.
Funke kam bei ihrem Ruf rasch herbei. Sie beobachtete ihn, sah, wie sein blaues, ärmelloses Jäckchen und die engen Hosen die Leichtigkeit seiner Bewegungen noch betonten. Doch sein Ausdruck war ein falsches Gesicht, seine lustlose Trauer machten ihn ihr so fremd wie jede Ballmaske. Er kniete mit stummer Ehrerbietung vor ihr nieder und ignorierte PalaThion völlig. Sie wußte nicht, ob seine Unhöflichkeit beabsichtigt war, oder einem Schuldbewußtsein entsprang. Sie wußte, er hatte der Frau gegenüber ein Schuldgefühl, konnte sich aber nicht erklären, warum. »Ja, Eure Majestät?« Er blickte
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