Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin
schüttelte den Bann ab. »Dort muß der Raumhafen sein! BZ, wir haben's fast geschafft. Wir könnten heute nacht noch dort sein.« Frostwölkchen schwebten um ihre Wangen. »Wir sind noch rechtzeitig hergekommen!«
»Ja. « Er atmete tief ein. »Rechtzeitig. Dank den Göttern!« Er sah dem letzten Schiff nach, das hinter den Hügeln niedersank.
Heute nacht ...
»Es ist unnötig, heute nacht noch solche Strapazen zu erdulden. Auf einen Tag mehr oder weniger kommt es nicht an. Morgen ist früh genug.«
Sie sah ihn überrascht an. »Aber es würde nur wenige Stunden dauern. Es ist auch nicht anstrengender, als ein Lager aufzuschlagen.«
Er zuckte die Achseln und blickte immer noch in die Ferne. »Vielleicht.« Er begann, hinter vorgehaltener Hand zu husten.
Sie legte ihm eine Hand auf die Stirn, als würde sie seine Temperatur fühlen. »Je früher du einen Heiler aufsuchst – einen Arzt –, desto besser.« Sehr bestimmt.
»Ja, Amme.«
Sie stieß ihn an. Er grinste. Seine Energie schien ebenfalls zurückzukehren, als sie die Energieeinheit startete. Der Schlitten glitt geräuschlos über die Kuppe und den Hang hinunter. Das Nachglühen der Schiffe verblaßte am Himmel. Stunden .. . nur noch Stunden, bis er wieder unter den Lebenden weilte und das Leben wiedererlangte, das er verloren geglaubt hatte, das einzig lebenswerte Leben ... Götter, ja, er wollte den Raumhafen heute nacht noch erreichen!
Aber warum hatte er dann »morgen« zu ihr gesagt?
Morgen ist früh genug.
Er fuhr mit einer Hand unter die Decke und verschob Blodweds Käfige. Inzwischen waren es nur noch zwei. Der grüne Vogel war unterwegs gestorben, drei oder vier Nächte war das jetzt her. Morgens hatten sie ein kleines Grab in den verkrusteten Schnee gescharrt.
Hier, doch ich gehe für dich ...
Er hatte diese Worte laut zu ihr gesagt und sich hingekniet. Nur der schweigende Himmel war Zeuge gewesen.
Und bei jeder Dämmerung hatte er sie mit den Augen wiederholt, wenn er als freier Mann erwacht war und sie in der Zeltkuppel neben sich gesehen hatte – zum Greifen nahe, und doch hatte er sie seit jener Nacht nicht mehr berührt. Er hatte sie im Schlaf beobachtet, wenn Träume über ihr Gesicht gehuscht waren, ihr helles Gesicht und die schneeweißen Haare, ihre unnatürliche Blässe, die ihm nun schon um so vieles vertrauter war, wie seine eigene dunkle Haut, und die er liebgewonnen hatte. In Gedanken aber hatte er sie oft gehalten und geküßt, um sie zu wecken ... in dieser zeitlosen Wildnis war er frei gewesen wie noch nie zuvor in seinem Leben, frei von seiner Vergangenheit und seiner Zukunft, dem starren Kodex, an den seine Existenz gebunden gewesen war. Hier schwebte er formlos dahin, wie ein Embryo, und empfand keine Scham angesichts seines Verlangens nach einem Barbarenmädchen, dessen Augen die Farbe von Nebel und Achat hatten.
Er hatte gesehen, wie sie nach seinem eingebildeten Kuß aus sorgenschweren Träumen erwacht war und ihn mit einem müden Lächeln begrüßt hatte. Er hatte die Erkenntnis in ihren Augen aufflackern sehen, sie verstand seine zögernde Begierde, die auch sie erfüllte. Aber nur seine Augen hatten gefragt, und nur ihre Augen hatten ihm geantwortet. Und nun würde es keinen neuen Morgen mehr geben ...
Kalt und mit schmerzenden Gliedern hatten sie endlich den letzten Hügel erklommen. Der Raumhafen lag in trübem Glanz vor ihnen. Er erinnerte an eine aufgehende Mitternachtssonne. Die niedere Kuppel der unterirdischen Anlage glich einer Geschwulst im Antlitz der Ebene, und war doch fast eine Stadt für sich. Unterirdisches Licht erhellte ihre glatte Oberfläche. Man konnte kein Anzeichen von den gelandeten Sternenschiffen mehr sehen: Keine Öffnung klaffte mehr in der Kuppel. Weit am Horizont konnte sie die erleuchtete Muschelform des niemals schlafenden Karbunkel sehen.
Gundhalinu seufzte, und die schmerzliche Spannung in seiner Brust lockerte sich. Mond stand stumm hinter den Kontrollen; er fragte sich, ob die Ehrfurcht beim Anblick des ersten Raumhafens in ihrem Leben sie hatte erstarren lassen – bis er sich daran erinnerte, daß es ja gar nicht ihr erster war. Plötzlich griff sie mit der Hand herab und berührte seine Schulter, eine Geste, die mehr Beruhigung forderte, als sie geben konnte. Er hob die Hand, um sie zu greifen, doch sie schloß sich nicht um seine. Er ließ sie wieder sinken. »Keine Sorge«, sagte er rauh und hölzern. »Wir halten uns besser etwas nach links und nähern uns dem
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