Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin
sie, wenn die Sonne im Zenit stand, sogar überschreiten würde. Ihre Dankbarkeit über den nachlassenden Frost war bald bitteren Flüchen gewichen, als sie immer häufiger auf nacktes Gestein stießen, das, neben der Tundra, das Vorankommen des Schlittens blockierte.
Er kroch unter den Fellen und Decken hervor und wankte zum Bug des Schlittens, um die Kufen anzuheben. Mond warf sich mit ihrem ganzen Gewicht gegen das Heck. So zogen sie ihn gemeinsam den endlosen Hang hoch. Er betrachtete die sonnengebleichten Giganten der Felsen, die ihr Vorankommen spöttisch begutachteten, und bemühte sich, die rotglühenden Metallbänder zu ignorieren, die sich immer enger um seine Brust schlossen – wie auch das Wissen, daß ein Mädchen seiner Schwäche wegen alle schweren Aufgaben erledigen mußte, das Wissen, daß sie es schweigend und gewissenhaft tat.
Sie erreichten die Hügelkuppe, und damit auch, endlich, den schneebedeckten Hang der anderen Seite. Er ließ den Atem ausströmen, den er angehalten hatte, und damit auch den Husten, den er so lange unterdrückt hatte. Mond trat an seine Seite und führte ihn wieder zu seinem Platz auf dem Schlitten.
»Wie lange noch, BZ?« Sie runzelte die Stirn und zog die Decken bis unter sein Kinn, wie eine besorgte Kinderschwester. Sie hatte keine Kräutermedizin mehr, und er wußte, auch sie hatte bemerkt, daß sein Husten wieder schlimmer wurde.
Er lächelte flüchtig und schüttelte den Kopf. »Bald. Vielleicht werden wir morgen bereits da sein.«
Der Raumhafen. Rettung. Himmel!
Er gab nicht zu, daß er sich nicht mehr erinnerte, ob sie bereits seit fünf oder seit sechs Tagen unterwegs waren. Er ließ es nicht zu, selbst daran zu glauben, daß es zu lange war, oder daß seine Berechnungen nicht stimmten.
»Ich glaube, wir sollten dort unten ein Lager aufschlagen.« Mond deutete hinab. Er sah, wie sie zitterte, als ein eisiger Windhauch über den Hügel strich. »Die Sonnen gehen bereits unter.« Sie überblickte das endlose Hügelmeer, das sanft zum Ozean hin abfiel, dann blickte sie zum immer dunkler werdenden, indigofarbenen Himmel auf. »Es wird zu kalt für eine Weiterfahrt. « Plötzlich hörte er, wie sie, lauter als das Pfeifen des Windes, den Atem einsog. »BZ!«
Er sah auf und folgte mit dem Blick ihrer ausgestreckten Hand, wußte nicht genau, was er erwartete, war aber ganz sicher, daß es nicht das gewesen war, was er dann tatsächlich sah.
Sterne fielen aus dem blauschwarzen Zenit herab. Aber nicht die Sterne aus zerbrochenem Glas dieser Welt – das waren die Sterne, die in Träumen leuchteten, Sterne, für die ein Mensch sein Leben lassen würde, die Sterne des Imperiums, Grandeur, Ruhm ... das Wirklichkeit gewordene Unmögliche.
»Was ... was ist das?« In Monds Stimme hörte er dieselbe Ehrfurcht, die er schon von den Eingeborenen ungezählter Welten vernommen hatte, wenn sie Zeuge dessen wurden, was Mond gerade beobachtete.
Mit jedem Herzschlag wurden die fünf Sternenschiffe am Himmel größer. Die Harmonien von Farbe und Intensität wechselten mit jeder Veränderung der Parallaxe und bildeten Komplexität über Komplexität, wie Licht, das durch Prismen fließen den Wassers fällt. Er sah, wie die fünf Schiffe sich langsam zu einem Kreuzmuster formierten und zu einem riesigen Stern wurden, dem Zeichen der Hegemonie. Die Farben blitzten in einem Rhythmus, den er fast hören konnte, und erfüllten den Himmel mit allen Tönen und Schattierungen der nächtlichen Aurora seiner Heimatwelt .. .
»Der Premierminister? Ist das der Premierminister?« Durch die Schutzmaske konnte er Monds Worte nur undeutlich verstehen.
Er schluckte und schluckte, unfähig zu einer Antwort.
»Das sind Schiffe!« fuhr sie fort und beantwortete damit ihre Frage selbst. »Das sind doch nur Schiffe. Wie können sie wirklich und gleichzeitig so wunderschön sein?«
»Es sind Kharemoughi-Schiffe.« Er hätte »Schiffe des Imperiums« sagen können, er hätte »Götter« sagen können; er sagte aber nicht, daß es sich nur um Münzenschiffe handelte, die in Mäntel von Hologrammprojektionen eingehüllt waren, um die Bürger dieser Welt in Erstaunen zu versetzen. Er sah Mond, blind vor Bewunderung, wieder an und nahm ihr Lächeln in sich auf.
»Wirklich?« Sie berührte seine Wange, dann wandte sie sich wieder dem Himmel zu, als die Formation auseinanderbrach, die Flammen erloschen, und die Schlacke zur Erde fiel – hinter den Hügeln, kaum zwei Kuppen entfernt. »Sieh doch!« Sie
Weitere Kostenlose Bücher