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Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin

Titel: Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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sich noch eine tiefere Wahrheit, und daher kam die Vision allein zu ihr, während sie in der Dunkelheit schwebte. Sie sah die Mers, aber nicht als unschuldige, unwissende Spielzeuge des Meeres, sondern als das, wozu sie ursprünglich erschaffen worden waren: wissende, intelligente Lebewesen, die den Keim der Unsterblichkeit in sich trugen. Der erste Schritt zur Unsterblichkeit für alle Menschen ... und doch mehr als das. Sie hatten ihre Unsterblichkeit und ihre Intelligenz aus gutem Grund erhalten. Und diesen Grund kannte nur sie ganz alleine: die Sybillenmaschine, das geheime Repositorium der Führung aller Sibyllen hier auf Tiamat, unter Karbunkel, unter der Meeresoberfläche. Sie sah die Mers friedlich durch diese Wasserwelt schwimmen – Wächter des Sibyllenbewußtseins, die das Wissen besaßen, die Maschine zu warten und für ihr reibungsloses Funktionieren zu sorgen. Die Wissenschaftler des Alten Imperiums, deren Plan sie entsprungen waren, hatten gehofft, daß ihnen das Netzwerk der Sibyllen genügend Zeitaufschub verschaffen würde, um die Unsterblichkeit für die menschlichen Wesen zu verwirklichen, oder daß es wenigstens den schleichenden Verfall aufhalten würde, der das Imperium von innen her auffraß.
    Doch der Verfall hatte diese Welt zuerst erreicht, und zwar in Form von Königreichen, die sich von der übergeordneten Macht lossagten, deren kurzsichtige Vertreter sofort für sich selbst eine unperfekte Unsterblichkeit gewollt hatten, da die perfekte eben nicht verfügbar war. Mächtige Beamte des Imperiums begannen damit, die Mers abzuschlachten, was ihre Fähigkeit der Entwicklung bis zur Reife einschränkte und das Sibyllennetzwerk verkrüppelte, noch bevor es richtig zu funktionieren begonnen hatte. Das Alte Imperium stürzte vollständig und unwiederbringlich unter der Last seines eigenen Gewichtes in sich zusammen – doch das Geheimnis vom Wasser des Lebens wurde bewahrt, für jeden Privilegierten zugänglich, und daher begann das Abschlachten der Mers mit dem Aufstieg der Hegemonie erneut. Aber zu diesem Zeitpunkt hatten die Mers längst ihren eigentlichen Zweck vergessen und waren auf eine primitive Art und Weise eins mit dem Meer geworden. Die übriggebliebenen Kolonisten, die sich bemühten, ihr Überleben zu sichern, verstanden das Geheimnis im Meer ebensowenig wie die verbliebenen Mers, doch sie verehrten die noch lebenden Erinnerungen als die Meeresmutter und nannten ihre unsterblichen Kinder heilig.
    Das Sibyllennetzwerk funktionierte auch weiterhin und spendete sein Wissen den verkrüppelten Kulturen jener Welten, die sich um einen Aufstieg aus den Ruinen des Alten Imperiums bemühten, doch aufgrund des verlorenen Potentials waren die Antworten immer rätselhafter und obskurer geworden ... Und nun erkannte Mond plötzlich, daß es einen noch wesentlich tieferen Aspekt seiner Macht verloren hatte. Die Manipulationen, die es vorgenommen hatte, um sie nach seinem Willen zu lenken, waren nicht rein zufälliger Natur, sie waren auch kein seltenes oder ungewolltes Phänomen. Sibyllen waren mehr als einfach nur Sprecher, die Wissen aus zweiter Hand weitergaben – sie waren auch als Agenten sozialer Veränderungen entworfen worden, um den Kulturen, denen sie entstammten, wieder Stabilität und Humanität zu bringen. Aber auch diese Funktion war, zusammen mit der einstigen Klarheit des gespeicherten Wissens, im Laufe der Zeit teilweise verlorengegangen.
    Aber sie, Mond, war die Sommerkönigin geworden – wie es das Sibyllenbewußtsein vorgesehen hatte. Und nun, da sie Königin war, würde sie sich wieder an die Aufgabe machen, all das zurückzuerobern, was im Laufe der Zeit verlorengegangen war. Sie war die letzte Hoffnung des Sibyllenbewußtseins, er hatte seine sämtlichen schwindenden Ressourcen in sie investiert. Nur wenn sie seinen Verfall aufhalten und die Entwicklung umkehren konnte, würde es wieder normal funktionieren –und nur dann konnte er ihr helfen, dem Zyklus der Ausbeutung durch die Außenweltler für immer ein Ende zu setzen. Das Sibyllenbewußtsein würde sie weiterhin lenken so lange es konnte, aber sie würde die Bürde tragen, alles in die Tat umzusetzen ...
    »Keine weitere Analyse!«
Mond schwankte, als der Transfer sie wieder entließ. PalaThion stützte sie und führte sie zur Couch zurück.
    »Alles in Ordnung?« PalaThion forschte in ihrem Gesicht nach einem beruhigenden Zeichen des Verstehens.
    Sie schüttelte den Kopf und sackte unter dem Gewicht der letzten

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