Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin

Titel: Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
Vom Netzwerk:
aussehen mochten, wenn sie all ihrer Außenweltlereleganz entblößt waren. Sie erinnerte sich an die loyalen Dienste ihrer Bewohner, die im Lauf der vielen Jahre Mitglieder ihres Hofes gewesen waren.
Und sogar heute.
Sie betrachtete ihre Getreuen zu beiden Seiten und lauschte ihrem trotzigen Außenweltlerlied, das sie ihr zu Ehren sangen, und um das Toben der Menge zu übertönen. Eine Handvoll der maskierten Ehrenwache waren fast so alt wie sie auch– wenn auch keiner sonst so wohl erhalten war. Sie hatten ihre Loyalität und Nützlichkeit immer wieder unter Beweis gestellt, und daher waren sie auch immer wieder belohnt worden, während die weniger Nützlichen und weniger Aufrichtigen alterten und aufs Land verbannt wurden. Ihr Kummer war echt, das wußte sie, wie auch der der wehklagenden Winter – wenn auch die anderen Winter hauptsächlich um ihrer selbst willen weinten. Aber das war nur menschlich. Es gab keinen, den zurückzulassen sie ernstlich bedauerte. Es gab viele, an denen sie Gefallen gefunden, die sie sogar respektiert hatte, aber keinen, für den sie je persönliche Wärme empfunden hätte, die nicht im Lauf der Jahre erkaltet war. Es gab nur einen, den sie wirklich liebte, und den mußte sie nicht zurücklassen. Sie legte eine Hand auf Starbucks Knie, doch er stieß sie von sich, bevor sie seine Haut berühren konnte. Doch einen Augenblick später glitt seine Hand, als wollte er sich entschuldigen, unter ihrem Mantel über ihren Rücken, sein Arm umfaßte ihre Hüfte. Sie lächelte, während ein Fischkopf hinter ihr auf den Pelz fiel.
    Sie hatten bereits die Ausläufer des Labyrinths erreicht.
Ist diese Stadt wirklich so klein?
Sie betrachtete die mit Unrat übersäten Alleen, deren Kehlen von Menschen zugedrückt wurden, bis sie direkt in die kahlen Fensteraugen der Warenhäuser blicken konnte. Das alles sah sie zum letztenmal – was etwas mit dem erstenmal gemeinsam hatte, jedes Bild war so perfekt und rein wie ein Spaziergang durch frisch gefallenen Schnee. Das Erste und das Letzte waren dasselbe, und sie hatten nichts mit den zahllosen Wiederholungen dazwischen gemein.
    Sie teilten sich auch buchstäblich gemeinsame Dinge: die Menge der Ballbesucher, die verlassenen und halbleeren Gebäude. Doch als sie Karbunkel zum erstenmal gesehen hatte, war es am Ende der Herrschaft des Sommers gewesen, als sie von der Plantage ihrer Familie zum Ball gekommen war, zum ersten Ball seit hundert Jahren, um der Rückkehr der Außenweltler beizuwohnen und sich am Wettbewerb um die Königswürde zu beteiligen. Obwohl sie einer noblen Winterfamilie entstammte, hatte doch das Aufwachsen gegen Ende der Sommerzeit zur Folge, daß sie kaum zivilisierter als die Sommer selbst war. Alle Artefakte der Außenweltler, die ihr heute völlig vertraut waren, schienen jenem schüchternen und naiven Landmädchen ebenso wunderlich und fremdartig, wie sie heute jedem Sommermädchen erscheinen mußten.
    Doch sie hatte die Nützlichkeit der Gaben der Außenweltler rasch genug erkannt, die sie dieser Welt brachten – die seltsamen, magischen technischen Geräte, die seltsamen Gebräuche, die seltsamen Laster. Sie hatte auch sehr schnell herausgefunden, was ihre väterlichen Herren als Gegenleistung von ihrer Welt durch ihre unwissende Repräsentantin forderten –, und sie hatte gelernt, nicht ohne Schmerzen, wie man nahm, ohne zu geben, wie man gab, ohne sich zu ergeben, wie man Blut aus einem Stein herauspreßte. Sie hatte sich ihren ersten Starbuck genommen, einen Mann, an dessen fremdartige Züge sie sich nicht mehr erinnern konnte, und dessen wirklichen Namen sie schon lange vergessen hatte. Dutzende anderer waren ihm gefolgt, aber schließlich hatte sie den einen gefunden .. .
    In der Zwischenzeit hatte sie gesehen, wie aus Karbunkel ein bedeutender Raumhafen geworden war, hatte Jahr für Jahr mehr über die Nützlichkeit der Technik gelernt, mehr über die Abgründe der menschlichen Natur, mehr über das Universum im allgemeinen und sich selbst im besonderen. Doch auch zehn Lebensspannen hätten ihr kaum beibringen können, was es alles zu lernen gab, und sie hatte nicht einmal zwei gehabt. Doch dann hatte sie begriffen, daß diese Welt eine Erweiterung ihrer selbst war, und dadurch in einer Weise unsterblich, die kein lebender Mensch je würde beurteilen können. Sie hatte Pläne geschmiedet, ein Erbe zu hinterlassen, wenn ihre Herrschaft endete, damit die Welt weiterlernen konnte, wenn es ihr selbst unmöglich geworden

Weitere Kostenlose Bücher