Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin
zurückzubringen. Cress mußte dringend ins Krankenhaus ... die einzige Möglichkeit hierzu war auf Kharemough, jenseits der Pforte.
Aber nur Cress konnte sie da hindurchschleusen.
Doch dann hatte sie sich erinnert: Mond war eine Sibylle, und TJ hatte ihr einst von einer Sibylle berichtet, die sich in Trance versetzt und einen Feldpolarisator bedient hatte, um nach einem Industrieunfall fünf Menschen das Leben zu retten. Die Sibylle war nicht an komplizierten Maschinen ausgebildet gewesen, also durfte es auch keine Rolle spielen, daß diese hier kaum wußte, was eine Maschine überhaupt war. Sie war nur eine Trägerin, wie sie gesagt hatte, und es war ihre Aufgabe, alle zu retten, allen zu Diensten zu sein, die ihre Hilfe brauchten – nur sie konnte sie durch die Pforte in Sicherheit bringen.
Doch als sie Mond das zu erklären versucht hatte, war sie gegen eine Barriere angerannt, die ebenso undurchdringlich wie das Schwarze Loch gewesen war. Mond saß entschlossen an Bord des LB und weigerte sich, einen Fuß auf das große Schiff zu setzen. »Bringt mich zurück! Ich muß zurück nach Karbunkel!« Ihr Gesicht war wie eine geballte Faust, sie hatte jedes Argument störrisch und unverändert mit denselben beiden Sätzen beantwortet.
»Aber Mond, die Außenweltler werden dich niemals zurückkehren lassen, wenn sie dich bei uns finden. Deine Welt ist Sperrgebiet. Sie werden uns alle zu den Schlackeminen auf Big Blue deportieren, und glaub mir, sogar der Tod wäre angenehmer.«
»Das ist mir egal, wenn ich nicht zurückkehren kann. Ohne ihn ist alles egal.«
Oh, mein Kind, wie glücklich du doch in dem Glauben bist, alles wäre so einfach ... und wie naiv.
Und doch sagte ein Teil in ihr, daß sie recht hatte, auch sie lebte seit TJs Tod nur noch ein halbes Leben ... »Das weiß ich genau. Ich weiß, daß du augenblicklich so denkst. Aber denk doch auch einmal an Cress.« Ihre Hand war über die kühle, halbtransparente Hülle geglitten, unter der er an der Klippe des Todes atmete. »Er wird sterben, Mond. Wenn wir Kharemough nicht erreichen, wird er sterben. Du bist eine Sibylle, es ist deine heilige Pflicht. «
»Ich kann es nicht!« Mond schüttelte den Kopf, ihr Lockenschopf folgte der Bewegung. »Ich kann nicht, ich weiß überhaupt nicht, wie man das macht. Ich kann kein Sternenschiff steuern ... « Sie hob die Stimme. »Und ich kann Funke nicht verlassen!«
»Es ist doch nur für ein paar Wochen!« Elsevier hatte die letzten Worte in völliger Verzweiflung ausgesprochen, doch bevor sie sie widerrufen konnte, sah sie, wie das Mädchen den Kopf hob und sie mit prüfendem Blick betrachtete.
»W-wie lange?«
»Ungefähr einen Monat pro Weg.«
Schiffszeit.
In der Zwischenheit würden auf Tiamat mehr als zwei Jahre verstrichen sein. Das allerdings sagte Elsevier nicht, die Notwendigkeit beflügelte ihre Phantasie. »Nur zwei Monate hin und zurück, Mond. Wenn du mit einem Händlerschiff von Shotover Bay nach Karbunkel gereist wärst, hättest du ebenso lange gebraucht. Hilf uns durch die Pforte, hilf Cress – und wenn du immer noch zurückwillst, wenn wir Kharemough erreicht haben, dann werde ich dich zurückbringen. Das verspreche ich dir.«
»Aber wie? Ich kann kein Sternenschiff steuern.«
»Du kannst alles tun, alles sein, jede Frage beantworten – mit einer Ausnahme. Du bist eine Sibylle, und es wird Zeit, daß du verstehen lernst, was das bedeutet, Liebes. Hab' Vertrauen zu mir!«
Danach hatte sie geschluchzt, während sie Monds Sicherheitsgurte gelöst hatte.
Ein lautes
Klack
hallte durch das Schiff und riß Elsevier wieder in die Wirklichkeit zurück. »Silky! Was war das? Etwas hat sich gelöst ...« Der schützende Kokon hielt sie gefangen, sie konnte keinen Finger rühren, geschweige denn den Kopf drehen. Sie konnte nur weiter die schimmernde Krebsgeschwulst anstarren, die sich vor ihnen auf dem Schirm ausbreitete.
»Armbanduhr.«
Sie gab einen Seufzer der Erleichterung von sich, als sie die Uhr sah, die neben einem Doppelsternsystem am Bildschirm zu kleben schien. Die Bilder der Sterne krümmten sich einwärts, zum Zentrum des Bildschirms hin, wo die schwarze Krone der Pforte wie ein Symbol der Macht über das Licht selbst thronte ...
Unvorsichtig!
Etwas Größeres und Schwereres als die Armbanduhr hätte in seinem Drang zu entkommen ein Loch in die Hülle schlagen können. »Ich habe diese Uhr eben erst bekommen. Ich habe diese Reise schon zu oft unternommen, ich kann die Last der Jahre
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