Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt
das für seine Eitern selbstverständlich gewesen sein mußte. Er redete sich ein, daß der freie und wahllose Sex, dem immer mehr seiner Freunde frönten, nur ihre innere Leere und die Ziellosigkeit ihres luxuriösen Leben widerspiegelte.
Im innersten Herzen glaubte er immer noch daran, aber heute abend hatte Kirard Set Wayaways ihm zu verstehen gegeben, daß alle seine Überzeugungen falsch waren.
Im Palast ging er geradewegs zum Arbeitszimmer seines Vaters. Als er zur Tür hineinschaute, sah er ihn wie versteinert auf der Couch sitzen, das Gesicht in den Händen vergraben. Eine Zeitlang betrachtete er ihn, ohne sich bemerkbar zu machen, dann drehte er sich um und ging fort.
In einem anderen Zimmer war seine Mutter mit Jerusha PalaThion bei der Arbeit. Als er durch die Tür kam, blickten sie überrascht hoch. »Tammis ...«, staunte Mond. Jerusha PalaThion musterte ihn mit einem durchdringenden Blick und sah dann auf die Uhr.
Sie trank ihren Becher leer und stand auf. »Ich wußte nicht, daß es schon so spät ist. Wir machen morgen weiter, vielleicht habe ich im Traum eine Eingebung.« Sie lächelte müde.
Seine Mutter nickte. Tammis sah die dunklen Ringe unter ihren Augen, die sich wie Blutergüsse gegen die blasse Haut abhoben. Jerusha ging an ihm vorbei und wünschte ihm eine gute Nacht. Er wußte genau, warum sie sich so eilig verabschiedete – sie wollte ihm Gelegenheit geben, mit seiner Mutter unter vier Augen zu sprechen.
»Tammis ...?« wiederholte Mond besorgt. Sie streckte die Hände nach ihm aus.
Er ging zu ihr, nahm ihre Hände und spürte, wie sie die seinen tröstlich drückte. Es war dasselbe beruhigende Gefühl, wie wenn sie ihn auf die Stirn geküßt hatte, als er noch ein Kind war. Er hockte sich auf die Tischkante, wobei er achtgab, daß er keine Papiere in Unordnung brachte.
»Wie hast du den heutigen Abend verbracht?« fragte sie mit sanfter Stimme. Doch er bildete sich ein, eine Spur von Zweifel in ihrem Blick zu erkennen; seit Jahren hatte er sie nicht mehr bei der Arbeit gestört.
Er zuckte die Achseln. »Nachdem der Laden zugemacht hatte, gingen wir alle zu Elco Teel.«
»Hast du gesehen, was Capelia Goodventure heute passiert ist?« fragte sie, wie wenn sie glaubte, dieser Vorfall habe ihn so betroffen gemacht.
Tammis nickte. »Elco Teel meint, ein Glück, daß es ihr zugestoßen ist und niemand anders.« Er lächelte ein bißchen schuldbewußt.
»Der Herrin sei Dank, daß Tor Starhiker sie gerettet hat. Nicht auszudenken, was ich sonst zu hören gekriegt hätte«, erwiderte Mond und rieb sich die Augen.
»Ich möchte es auch lernen – was Tor gemacht hat, meine ich. Alle hielten es für Zauberei.«
Er rutschte vom Tisch herunter und merkte, wie sein Mut ihn verließ. »Ich wollte dir nur gute Nacht sagen.« Dabei schaute er sie nicht an.
»Sonst nichts?« Die Stimme seiner Mutter klang zweifelnd.
Als er sie wieder anblickte, drängte sich ein zweites Bild vor seine Augen: die Schneekönigin, das Ebenbild seiner Mutter. »Wir waren bei Elco Teel, und ...« Er erzählte ihr die ganze Geschichte, auch das, was über den Kharemoughi Polizei-Inspektor gesagt worden war.
Doch er wagte es nicht, ihr ins Gesicht zu sehen, aus Angst, welchen Ausdruck er dort finden würde. Gespannt hörte sie ihm zu, ihn nur wenige Male unterbrechend. Als er sie einmal flüchtig anblickte, sah er, daß sie vor Wut blaß geworden war; aber der Druck ihrer Hände und ihr kalter, ferner Blick verrieten ihm, daß ihr Zorn sich nicht gegen ihn richtete. »Wieso hat Kirard Set euch das eigentlich erzählt?« fragte sie mit gepreßter Stimme.
Tammis hob die Schultern. »Ich weiß es nicht. Merovy sagte, er würde sich sein Ohr abschneiden, wenn er dadurch jemandem schaden könnte.«
»Ja«, murmelte Mond, »ich glaube, das stimmt. Er tat es, um uns allen wehzutun, Tammis. Den genauen Grund für seine Gemeinheit kann ich dir allerdings nicht sagen.« Ein Unterton in ihrer Stimme verriet ihm, daß sie ihm durchaus mehr hätte verraten können, wenn sie nur gewollt hätte. »Ich rate dir nur, dich von solchen Leuten fernzuhalten. Ihre Motive spielen keine Rolle, wichtig ist, daß sie bereit sind, dich zu kränken.«
Sie ließ seine Hand los. »Ich bin wirklich Arienrhods Klon, Tammis. Aber ich bin nicht Arienrhod. Die Frau, die mich geboren hat, war Lelark Dawntreader Sommer. Funke – dein Vater –«, betonte sie, »und ich, wuchsen zusammen auf Neith auf, das ist eine der Windwärts-Inseln. Gran
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