Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt
Welt zu verändern, und sie konnte nur hoffen, daß ihr Handeln dem Willen des Sibyllennetzes entsprach.
Sie wandte den Blick von den spielenden Mers ab und sah sich in der Kammer um. Das nächtliche Bild hatte für sie plötzlich seinen Reiz verloren. Sie schaute auf die vielen unerledigten Projekte ihres Lebens. Sie hatte immer so viel vor, doch das meiste blieb halbfertig liegen oder wurde abgebrochen. Wie das Kinderspielzeug, das sie zu basteln angefangen hatte, der nicht zu Ende gestrickte Pullover und die Kleidungsstücke für ihre Kinder, aus denen sie herausgewachsen waren, noch ehe die Sachen fertig wurden.
Bei ihr stapelten sich Bücher aus Arienrhods Bibliothek, die meisten davon in Sprachen, die sie nicht verstand, doch voller dreidimensionaler Bilder von anderen Welten, die sie faszinierten.
Überall traf sie auf die Hinterlassenschaft aus Arienrhods Vergangenheit, die der ihren so sehr glich. Aus ihrer eigenen Kindheit hatte sie keine Erinnerungsstücke in ihr neues Leben herüberretten können. Und manchmal bildete sie sich schon ein, die alten, verblichenen Sachen der Winterkönigin hätten einmal ihr gehört, oder sie hätte sie zumindest geerbt.
Sie machte die Augen zu, und die Dunkelheit füllte sich sofort mit Bildern des vergangenen Tages. Sie merkte, daß sie sich zu lange ihrem Kummer überlassen hatte. Sie war nicht einmal nach unten gegangen, um ihren Kindern einen Gutenachtkuß zu geben. Sie hatte sogar ihre Großmutter gemieden, weil sie keinen vorwurfsvollen Blicke und kein Wort des Zweifels mehr hätte ertragen können. Und Funke war immer noch nicht heimgekehrt, ausgerechnet heute blieb er weg, zur großen Enttäuschung ihrer Kinder. Dabei hätte sie ihn selbst dringend gebraucht, um mit ihm zu reden.
Mit den Händen strich sie über ihren Bauch, als sie an ihre Kinder dachte und sich entsann, wie schön es war, das werdende Leben in sich zu spüren. Die unverhoffte Mutterschaft hatte ihr damals eine neue Zukunftsperspektive gegeben und die Kraft, ihre Überzeugungen gegen die Anfeindungen des Goodventure-Clans zu verteidigen, der behauptete, sie würde den Willen der Herrin verfälschen. Für sie, die zu der Zeit auch erst siebzehn war, hatte der Glaube an die eigene Mission, die Welt zu verändern, ungeheuer viel bedeutet.
Das junge Leben in ihr hatte ihr bewiesen, daß es sich lohnte, für eine bessere Zukunft zu arbeiten. Sie hatte sich bemüht, Funke mit ihrem Optimismus anzustecken ... während sie sich die ganze Zeit über fragte, ob er auch wirklich der Vater ihrer ungeborenen Kinder war.
Unruhig stand sie vom Sofa auf und rieb sich das Gesicht, als plötzlich die Erinnerung an einen Fremden mit schwarzen Augen auf sie eindrängte. Gleichzeitig spürte sie eine leichte Übelkeit, wie zu Beginn ihrer Schwangerschaft. Ihr war zumute, als bräche in ihr etwas entzwei, als würden ihre Gedanken herumgewirbelt und in eine andere Realität hineingezerrt –
Der Transfer,
dachte sie, als sie das Gefühl endlich wiedererkannte. Aber niemand hatte mit ihr gesprochen, niemand hatte ihr eine Frage gestellt. Sie faßte das Sibyllenmedaillon an und merkte, wie ihr Körper erstarrte.
Sie war gerufen worden.
Der Transfer hüllte sie ein wie ein schwarzer Wind und riß sie mit sich.
Sie blinzelte in die Helligkeit. Dann merkte sie, daß sie nicht durch ihre eigenen, sondern durch fremde Augen schaute. Ihr Geist steckte im Körper einer anderen Sibylle, die sich auf einem Planeten irgendwo in der Galaxis befand. Der Himmel über ihr war angefüllt mit unbekannten Sternbildern.
Mit diesen fremden Augen blickte sie den Fragesteller an, der auf sie gewartet hatte – und war maßlos verblüfft. Denn sie schaute in ein Gesicht, das sie seit acht Jahren nicht gesehen hatte außer in ihren Träumen.
Vor ihr stand BZ Gundhalinu wie eine Vision aus der Vergangenheit; er wirkte müde und verzweifelt, der Blick war gehetzt. So hatte er ausgesehen, als sie ihm das erste Mal begegnet war, vor vielen Jahren in der weißen Winterwildnis. Dieser Mann hatte sie gerettet, er hatte ihr Halt und Führung gegeben. Und eine Nacht lang war er ihr Geliebter gewesen. Beim großen Aufbruch hatte er zusammen mit den anderen Außenwelt-lern Tiamat verlassen, ohne ihre Geheimnisse zu verraten. Er hatte ihr geholfen, Funke wiederzufinden und eine neue Zukunft zu beginnen.
»Mond?« flüsterte er und streckte die Hand nach ihr aus. »Bist du es wirklich?« Er streichelte ihre Wange und sah sie an, als erlebe er ein
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