Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt
Wunder.
»Ja«, antwortete sie leise. Ihr gefangener Körper sehnte sich danach, Gundhalinu zu berühren. »BZ!« Er lächelte überrascht, als sie seinen Namen aussprach.
Wie hast du mich hierhergeholt? Wo bist du? Was ist passiert?
»Was willst du von mir?« stieß sie mühsam hervor. Während des Transfers war es ihr kaum möglich zu sprechen. »Bitte ... gib mir mehr Informationen.«
Er befeuchtete seine aufgeplatzten, blutigen Lippen und murmelte etwas Unverständliches. »Ich bin ... ich bin auf Nummer Vier. An einem Ort, der Feuersee heißt.« Mit den Fingern kämmte er sich durch das schmutzige, verfilzte Haar. »Ich brauche Hilfe. Etwas kriecht ständig in meine Gedanken hinein und ...« Er brach ab und schüttelte den Kopf, wie um sich von einer fremden Macht zu befreien, die seinen Geist quälte. »Ich bin ein Sibyl, Mond. Jemand hat mich angesteckt, eine Frau, durch deren Augen du mich jetzt siehst. Sie war nicht dazu bestimmt, eine Sibylle zu sein ... sie ist verrückt.« Er schluckte krampfhaft. »Ich glaube, ich verliere auch den Verstand. Ich bin hier gefangen, und niemand hilft mir. Sag mir, wie du den Transfer kontrollierst. Jedesmal, wenn ich eine Frage höre ...« Er brach erneut ab, und in seinen Augen stand die blanke Verzweiflung.
»Ein Sibyl bist du?« Ihr Staunen verwandelte sich in Mitgefühl, als sie sich an ihre eigenen Initiation erinnerte, bei der ein biotechnisch entwickeltes Virus wie ein Feuer durch ihren Körper raste. Wie groß erst mußten die Verwirrung und das Entsetzen bei einem Menschen sein, dem niemand bei diesem Vorgang hilfreich zur Seite stand?
»Hab keine Angst«, tröstete sie ihn. Ihre geborgten Hände zuckten in dem vergeblichen Versuch, ihn anzufassen. »Ich hätte es wissen müssen, daß der gütigste, freundlichste und zärtlichste Mann, den ich kenne, zu diesem Schicksal ausersehen ist. Du bist ein Erwählter.
So wie ich eine Erwählte bin.
Sie holte tief Luft und versuchte, nicht daran zu denken, wie Gundhalinu vor acht Jahren ausgesehen hatte, als sie schon einmal ähnliche Worte zu ihm sprach. Sie mußte vergessen, wie er sie in die Arme genommen und voller Hunger und Sehnsucht geküßt hatte. Wie oft hatte sich dieser Augenblick in ihre Gegenwart hineingedrängt.
Hastig sprach sie weiter und unterdrückte den Wunsch, selbst Fragen zu stellen, anstatt zu antworten. »Es gibt bestimmte Formeln, die den Transfer einleiten und lenken; mit der Zeit werden sie sich dir einprägen wie ...« – sie suchte nach einem passenden Vergleich – »... wie die Adhani-Disziplin, die auf Kharemough praktiziert wird.«
»Wirklich? Ich übe diese Disziplin aus.« In seinem Blick lag Hoffnung.
»Dann wende diese Disziplin an«, murmelte sie mit
der fremden Stimme, während sie überlegte, welche Techniken Clavally und Danaquil Lu sie gelehrt hatten. »Der Sibyllentransfer wird durch eine Art Ritual in Gang gesetzt. Er beginnt mit dem Wort
Eingabe.
Du brauchst nicht auf sämtliche Fragen zu reagieren. Du mußt lernen, beiläufige Fragen abzublocken, indem du dich auf das Wort
Stop
konzentrierst.
»Stop?« wiederholte er verdutzt. »Das ist alles?«
»Es ist sehr simpel; so muß es sein. Aber es gibt natürlich noch viel mehr ...« Sobald ein innerer Widerstand gebrochen war, strömten die Worte aus ihr heraus. Begierig wiederholte er jeden Satz, während er sie anstarrte, als hätte er Angst, sie könnte plötzlich wieder verschwinden.
Sie unterwies ihn, bis sie heiser wurde und der Quell ihres Wissens versiegte. »Es dauert eine Weile, bis du es beherrschst. Du mußt nur an dich glauben. Dir ist keine Tragödie widerfahren, sondern etwas, das sich vielleicht als Segen erweist. Es sollte wohl so sein ...«
Seine Lippen bebten, wie wenn er ihr widersprechen wollte; er wandte kurz den Blick ab und schaute ihr dann wieder ins Gesicht. Noch einmal streichelte er ihre Wange. Als er ihre Hände nahm und sie küßte, füllten sich ihre Augen mit Tränen. »Du ahnst gar nicht, wieviel mir das bedeutet. Ich liebe dich, Mond, und ich werde keine andere Frau lieben. Seit ich Tiamat verließ, hasse ich mich selbst.« Er holte tief Luft. »Jetzt kann ich es dir sagen, weil ich weiß, daß ich dich nie wiedersehen werde. «
Sie merkte, wie die schwarze Flutwelle in ihr langsam zurückbrandete und sie mit sich riß; über die bodenlose Tiefe des nächtlichen Meeres hinweg rief es sie in ihren eigenen Körper zurück. Gundhalinus Bild wurde undeutlich und verblaßte.
Ich werde dich
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