Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt
die würzige Seeluft, das eintönige, sanfte Plätschern der Wellen und das Gefühl, ein schaukelndes Deck unter den Füßen zu haben, wenn sie beim Frachtlöschen half.
Bei der Arbeit lächelte Funke sie an, und nach einer Weile merkte sie, wie sein Gesicht einen zufriedenen, friedvollen Ausdruck annahm. Sie hatte ihn schon lange nicht mehr so ausgeglichen gesehen. In seinen Augen stand noch die Erinnerung an den unverhofften Ausbruch von Leidenschaft, der sie beide vor zwei Nächten überkommen hatte. Sie hatten Sehnsüchte gestillt, die nicht nur körperlich, sondern auch seelisch waren, und die sie viel zu lange nicht befriedigt hatten.
Sie lächelte auch, atmete tief durch und dachte an eine Zeit zurück, als sie beide jung und frei gewesen waren, als es für sie nur Funke gab, und sie im Traum nicht daran gedacht hatte; ihr Schicksal könne eine besondere Wende nehmen ... Doch plötzlich fiel ihr der Transfer ein, der sie in die Nacht hineinbefördert hatte, und in Gedanken sah sie das Gesicht eines anderen Mannes, seine Hände, die nach ihr griffen, und seinen Mund, der sie küßte.
Ich brauche dich,
hatte er gesagt.
Ihr wurde schwindelig. Sie zwang sich dazu, an gar nichts zu denken, wie sie es häufig in den vergangenen beiden Tagen gemacht hatte. Sie unterdrückte die Emotionen, die diese Erinnerung in ihr wachrief, ein Gefühl, so dunkel wie die Augen des Fremden, dessen verzweifelter, gequälter Blick sie verfolgte.
Ich kann ihm jetzt nicht helfen. Es geht nicht.
In Gedanken wiederholte sie unentwegt diese Worte, während sie mechanisch weiterarbeitete, bis der Schmerz in ihr abstumpfte.
Sie blickte hoch, als weiter droben an der Rampe ein lauter Lärm losbrach. Als sie über die Kiste hinweg-spähte, die sie in den Armen trug, sah sie, daß zwei Männer mit den Konstablern zu streiten schienen, die Jerusha mit der Bewachung des Hafens beauftragt hatte. Sie sollten jeden befragen, der die Rampe passierte. Einer der Männer, die von den Konstablern festgehalten wurden, war alt, aber er hielt sich sehr gerade. Sein Gefährte war viel jünger, doch er hatte einen jämmerlich gebeugten Rücken.
Danaquil Lu.
Dann erkannte sie Borah Clearwaters aggressive Stimme. »Jerusha!« rief Mond und deutete mit dem Kinn auf die Streitenden. Jerusha nickte und ging hin.
»Herrin ...?« murmelte jemand hinter ihr. Sie drehte sich um und sah eine hochgewachsene, brünette Frau. »Ich habe eine Frage.«
Mond stellte die Kiste ab und nickte. »Frage, und ich werde dir antworten.
Eingabe ...«
Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Funke seine Arbeit liegenließ und besorgt zu ihr eilte; unterdessen drang die Stimme der Frau in ihre Ohren und in ihren Geist. Jählings stürzte sie in die Dunkelheit.
»Keine weitere Analyse.«
Sie kam wieder, zu sich und mußte sich auf eine Kiste setzen, weil ihr noch immer schwindlig war. Funke massierte sanft ihre Schultern. Sie spürte, daß die Matrosen und Hafenarbeiter sie auf einmal mit anderen Augen betrachteten.
»Ich danke dir, Sibylle«, sagte die Frau. Lächelnd neigte sie den Kopf und ging fort. Mond sah, daß sich noch zwei, drei weitere Leute an sie herandrängten, und sie wußte, daß sie die nächsten Fragesteller waren.
»Was soll man bloß davon halten?« dröhnte unverkennbar Borah Clearwaters lautes Organ zu ihr herauf.
Sie stand auf und stellte sich an die Reling des kleinen Trimarans. »Was ist los, Borah Clearwater?« rief sie. Mit dem Rücken zu ihr stand er da.
Er wirbelte herum und ließ Jerusha stehen, die ein ärgerliches Gesicht machte. Im ersten Moment erkannte er Mond nicht, er sah nur eine schlicht gekleidete Insulanerin, die das Haar zu Zöpfen geflochten hatte, und nicht die Sommerkönigin. Als er sie dann erkannte, runzelte er die Stirn. »Wenn du glaubst, du könntest dich bei mir einschmeicheln, indem du einen Tag lang ehrliche Arbeit verrichtest, hast du dich getäuscht.«
Mond lachte; sie fragte sich, ob er wohl tatsächlich glaubte, sie sei in den Hafen gegangen, um ihn zu beeindrucken. Funke stellte sich neben sie, und sie spürte seine Gereiztheit.
»Ich störe dich nur ungern, Herrin«, sagte Danaquil Lu und drängte sich vor seinen Onkel. »Aber Borah Clearwater möchte unbedingt über das Wegerecht sprechen, das du unserem Clansmitglied Kirard Set Wayaways gewährt hast.« An Danaquil Lus gehetzter Miene erkannte sie, daß sein Onkel ihm keine Ruhe gegeben hatte, bis er sich bereiterklärte, mit ihr zu sprechen.
Sie schenkte ihm ein kurzes
Weitere Kostenlose Bücher