Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt
Erinnerungen an ihn unerträglich waren. Erst jetzt merkte sie, daß sie zwischen sich und ihrem Kummer einen Schutzwall errichtet hatte; als Mensch verschanzte sie sich hinter einer Barriere aus offizieller Geschäftigkeit, wie sie es ihr Leben lang getan hatte, bevor sie Miroe kennenlernte.
Ihre Teilnahme an diesem eigentümlichen Ereignis wirkte auf sie wie eine Art Katharsis; ihre Emotionen konzentrierten sich auf ein äußeres Ziel und eine lohnende Sache.
Er hätte heute dabeisein müssen,
dachte sie. Und plötzlich wußte sie, daß er da war; denn sie hütete und verwaltete nun all das, woran er geglaubt hatte, nicht nur seine weltlichen Besitztümer, sondern seine innerste Überzeugung.
Sie blickte über die Reling des Katamarans und suchte Silky, die sich immer weiter von ihrem Schiff entfernt, aber stets zurückgekommen war, bevor sie sich Sorgen machen konnte. Direkt unter ihr im Wasser schwamm der Merling, blies eine Fontäne aus, nieste geräuschvoll und tauchte wieder ab. Es tröstete sie, den Merling zu sehen, obwohl sie Silky jederzeit über einen Peilsender orten konnte.
Seit Wochen plagten sie Alpträume von einer Jagd, obwohl sie Plantagenarbeiter damit beauftragt hatte, den Zug der Mers in Richtung Norden mit Booten
zu
verfolgen; für sie war es die einzige Möglichkeit, ihr Adoptivkind vor Vhanus Schlächtern zu schützen. Bis jetzt hatte sie damit Erfolg gehabt.
Doch nun versammelten sich die Mers hier bei Karbunkel, wie BZ es vorhergesagt hatte. Sie wußte nicht, wie lange sie hierbleiben würden, oder wie lange Mond noch von ihrem Volk unterstützt werden würde. Die Drohungen und Restriktionen der Außenweltler hatten die Tiamataner nur noch starrsinniger gemacht; aber der eigentliche Druck käme erst, wenn die Leute wieder an ihre Arbeit und zu ihren Alltagsbeschäftigungen zurückkehren mußten.
Der Kommunikationsknopf in ihrem Ohr fing plötzlich an zu summen, und eine Stimme meldete: »Kommandantin, hier spricht Fairhaven. Kommandant Vainoo steuert in einem Hovercraft direkt in Ihre Richtung ... nur, damit Sie Bescheid wissen.«
»Danke, Fairhaven«, lachte sie. Viele Einheimische sprachen Vhanus Namen falsch aus, doch seit er das Kriegsrecht verhängt hatte, war diese Verballhornung zu seinem Spitznamen geworden. Sie zuckte die Achseln, als ein weiblicher Matrose sie neugierig anstarrte.
»Vorbereitungen treffen, daß das Schiff nicht geentert werden kann«, sagte sie.
»Kommandantin?« Die Frau blickte noch verdutzter drein.
»Das sollte ein Witz sein«, erklärte Jerusha und spähte über das Meer. Steuerbord tollten Merlinge im Wasser; sie tauchten unter, als ein Hovercraft dicht über die
Wellenkämme hinwegfegte und geradewegs auf das Schiff zuhielt.
Sie blieb stehen, wo sie war, gegen die Reling gelehnt; ein feiner Nebel, der halb aus Wolken und halb aus Seewasser bestand, benetzte ihr Gesicht, während sie auf Vhanus Ankunft wartete. Das Hovercraft verlangsamte das Tempo und setzte so präzise auf das Wasser auf, daß sich die Luke unmittelbar vor ihr befand. Der Knopf in ihrem Ohr begann wieder zu summen, dieses Mal schaltete sich eine Polizeifrequenz ein.
»Darf ich mit Ihrer Erlaubnis an Bord kommen, Kommandantin PalaThion?«
»Erlaubnis erteilt«, sagte sie. Sie setzte ein ironisches Lächeln auf, das bestimmt von den Beobachtern hinter der Spiegelglasscheibe bemerkt wurde, die wie das Auge eines Raubtiers über ihr aufragte.
Die Luke hob sich, und Vhanu kletterte heraus; unbeholfen landete er auf dem schwankenden Deck. Das Hovercraft lag schützend neben ihm, als er korrekt, wie immer, salutierte. »Kommandantin PalaThion.« Sie hörte es an seiner Stimme, daß es ihn fuchste, sie mit demselben Rang anreden zu müssen, den auch er bekleidete, obwohl sie seiner Meinung nach nichts weiter als die Chefin er lokalen Polizei war.
»Was kann ich für Sie tun, Kommandant Vhanu?« fragte sie, ohne zurückzugrüßen; sie weigerte sich, die Farce von Kharemoughi-Etikette mitzumachen.
Er zog die Stirn kraus. »Zuerst könnten Sie mich darüber aufklären, was Sie hier mitten in dieser unerlaubten Versammlung zu suchen haben.«
Sie hob die Brauen. »Es handelt sich nicht um eine unerlaubte Versammlung. Ihre Restriktionen beziehen sich nur auf das Zusammenrotten von mehr als zehn Personen innerhalb der Stadt. Von Schiffen auf dem offenen Meer ist nirgendwo die Rede. Dienstlich halte ich mich hier auf, um für Ruhe und Ordnung zu sorgen, und in meiner Eigenschaft als
Weitere Kostenlose Bücher