Tief im Hochwald - Kriminalroman
Kinder zu bekommen, wenn man selbst noch ein halbes Kind war, darum sagte er nichts, sondern freute sich im Grunde seines Herzens, dass aus Johannes trotz aller Startschwierigkeiten ins Erwachsenenleben etwas geworden war.
»Und jetzt zieh mal bitte den Rotwein auf, der Öffner liegt wie immer in der Schublade im Tisch unter deinem Platz.«
Sie genossen das Essen, und nach einem anschließenden alten Williams in der gemütlichen, vom Backofen wohlig warmen Küche hätte Johannes fast sein Klassentreffen vergessen.
»Soll ich dich mit dem Auto mit ins Dorf nehmen?«, erkundigte sich Johannes bei seinem Vater. Der runzelte die Stirn.
»Du bist alt genug, um zu wissen, was du tust, aber bei dem, was du bislang getrunken hast, und dem, was du im Laufe des Tages noch trinken wirst, reicht es sicher nicht, dass ich mit Heiner befreundet bin, wenn sie dich erwischen. Ich würde an deiner Stelle zu Fuß gehen.«
Johannes sah auf seine Füße, an denen er schwarze Slipper unter einer schwarzen Jeans trug. »Die sind nicht gerade für lange Strecken geeignet.« Dabei ließ er offen, ob er die Füße oder die Schuhe meinte. Hajo blickte ebenfalls auf Johannes’ Füße.
»Welche Größe hast du? Vierundvierzig?«
Johannes nickte.
»Du kannst Wanderschuhe von mir haben, wenn du möchtest. Pack deine Schuhe in eine Tüte und nimm sie zum Wechseln mit ins Dorf. Du kannst die Tüte bei Ruth in der ›Post‹ hinterlegen. Vanessa kann sie morgen wieder mitbringen, wenn sie zum Essen kommt.«
»Paps, wer ist diese Vanessa?«, hakte Johannes nach. »Jonas hat mir auch schon von ihr erzählt und scheint ganz begeistert zu sein. Was geht da zwischen euch vor?«
Es war genau das Gespräch, das Hajo nicht hatte führen wollen.
»Zwischen uns geht gar nichts vor. In Hellersberg hat es in den letzten zweieinhalb Wochen zwei Morde gegeben, und Vanessa unterstützt Heiner bei der Aufklärung. Da sie zurzeit keine Bleibe hat, wohnt sie vorübergehend in der ›Post‹. Und Jonas hat dir sicher schon erzählt, wie hilfreich es ist, dass er mir Geocachen beigebracht hat, denn das scheint ein wesentlicher Punkt bei den Ermittlungen zu sein, und bei der Polizei kennt man so etwas wohl nicht.« Wieso hatte er das Gefühl, sich vor seinem Sohn rechtfertigen zu müssen?
»Und was ist so faszinierend an ihr?«
»Nichts, höchstens die Tatsache, dass sie so verblüffend normal ist. Aber ich bin sicher, du wirst sie noch kennenlernen, mach dir selbst ein Bild. Und jetzt solltest du dich auf den Weg machen, damit du nicht zu spät kommst und ich mir nach dem Essen meinen Mittagsschlaf gönnen kann.«
»Aber ich kann dich doch nicht mit der ganzen Arbeit alleinlassen!«, protestierte Johannes.
»Wenn ich jetzt nicht schlafe, bin ich nachher total übermüdet, also geh bitte!«, log Hajo.
Johannes genoss das Klassentreffen. Da Jürgen und Matthias alles allein hatten vorbereiten müssen, weil sonst niemand in unmittelbarer Nähe wohnte, fehlten ein wenig die Spuren einer weiblichen Hand, aber grundsätzlich war an alles gedacht worden. Es gab keine Servietten oder Dekorationen, dafür aber Sekt, Orangensaft und Laugenbrezel zur Begrüßung. Jürgen spielte dazu im Hintergrund ein wenig auf einem Keyboard, während Matthias eine kleine Ansprache hielt und alle herzlich willkommen hieß. Von allen Seiten wurden witzige, leicht peinliche und auch unangenehme Erinnerungen aufgewärmt.
Jürgen und Matthias hatten sich den Generalschlüssel zur Grundschule besorgt und machten nun eine Führung mit allen durch die alte Aula und die Klassenräume, die sie in den vier Jahren benutzt hatten. Sie machten Fotos, quetschten sich auf die kleinen Stühle und besahen sich die heutige Schulausstattung. Wie sich herausstellte, hatten verblüffend wenige aus der alten Klasse eigene Kinder. Anna und Oliver hatten zwei Söhne und drei Töchter, Johannes hatte Jonas, Hartmut und zwei der Frauen hatten je zwei Kinder, Matthias, Jutta und Roland je eins.
Jürgen Rommelfanger sah auf die Uhr und rief in die Runde:
»Leute, gleich steht Religion auf dem Stundenplan. Frau Ostermann stößt in Kürze zu uns. Sie ist die einzige Lehrkraft, die der Einladung gefolgt ist.«
Frau Ostermann musste inzwischen um die achtzig sein. Sie war den ehemaligen Grundschülern schon damals steinalt vorgekommen. Sie staunten, als sie hörten, dass Frau Ostermann bei ihrer Tochter lebte, weil alle sie für eine ewige Jungfrau gehalten hatten.
»Ich war damals schließlich der
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