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Tief im Wald und unter der Erde - Winkelmann, A: Tief im Wald und unter der Erde

Titel: Tief im Wald und unter der Erde - Winkelmann, A: Tief im Wald und unter der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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die Worte, der große Befreiungsschlag, nach dem es ihn so lange verlangt hatte und der seinem
zweiten Ich eine große Portion neue Kraft verlieh. Endlich hatte er seine Absicht offen kundtun können.
    Die Mutter wurde still.
    Dann setzte sie sich ein wenig auf, drehte ihn herum und starrte ihn an.
    Warum war Entsetzen in ihren Augen?
    Warum war dort nicht Freude oder wenigstens Ungeduld zu sehen?
    »Was hast du gesagt?«, flüsterte sie.
    Es fiel ihm erstaunlich leicht, seine Worte zu wiederholen.
    »Ich werde ihn töten!« Diesmal klangen sie sogar noch kraftvoller, ehrlicher, diese Worte. Nicht mehr nur wie eine Absichtserklärung, sondern wie ein Gesetz.
    »Sag das nie wieder, hörst du! Niemals wieder!«
    »Aber warum, er …«
    »Nein!« Sie rüttelte ihn an der Schulter. »Du darfst nicht einmal daran denken. Dann bist du genauso wie er. Und du gehst ins Gefängnis für den Rest deines Lebens.«
    Er konnte kaum glauben, was seine Mutter da sagte.
    »Dann bist du genauso wie er!«
    Wie konnte sie nur? Verstand sie denn nicht, dass er nur auf diese Weise ihrer beider Leben retten konnte?
    »Hast du mich verstanden?«, schrie sie ihn an und rüttelte wieder an seiner Schulter.
    Ja, er hatte sie verstanden. Und er nickte auch, aber in seinem Inneren stand die Entscheidung längst unumstößlich fest. Seine Mutter war voller Angst, deshalb reagierte sie so. Sie fürchtete sich davor, was der Vater mit ihm anstellen würde, wenn es schiefging, und sie fürchtete sich davor, was das Gesetz mit ihm anstellen würde, wenn es klappte.

    Diese Angst teilte er nicht. Weder die eine noch die andere war begründet, denn nichts von dem würde eintreten. Doch an diesem Abend war nicht der richtige Zeitpunkt, seine Mutter mit Worten davon zu überzeugen. Allein seine Tat würde sie überzeugen.
    Er durfte nicht mehr warten.
    Sonst würde seine Mutter zerbrechen.
     
    Als der Vater am nächsten Abend von der Arbeit nach Hause kam, spürten sie beide sofort, dass es schlimm werden würde. Sein Frust, seine Wut, nur mühsam unterdrückt, solange er auf der Arbeit kuschen musste, entlud sich, sobald er die Wohnung betreten hatte.
    »Was ist denn das für ein Fraß!«
    Mit einer schnellen Handbewegung beförderte er das Essen von der Tischplatte auf den Fußboden. Der Teller zerbrach, die Nudeln mit der Tomatensoße platschten auf die Fliesen und gegen die Küchenschränke.
    »Ich will Fleisch, wenn ich schon den ganzen Tag für euch dreckiges Pack arbeiten muss, kapiert?!«
    Eilig stand seine Mutter auf und wollte sich bücken, um die Sauerei aufzuwischen, da packte er sie am Handgelenk und hielt sie fest.
    »Das lässt du unsere Schwuchtel machen. Du brätst mir auf der Stelle ein Stück Fleisch.«
    »Aber wir haben keins mehr im Haus.«
    Er schlug ihr mit der flachen Hand ins Gesicht. Es klatschte laut, ihre Wange rötete sich sofort. Deutlich waren die Fingerabdrücke zu sehen.
    »Dann geh gefälligst los und hol mir Pommes rot-weiß mit Currywurst.«
    Die Mutter nahm das letzte bisschen Haushaltsgeld aus
der Kasse in der Küchenschublade und beeilte sich, aus der Wohnung zu kommen. Die Straße runter um die Ecke befand sich ein kleiner Imbiss, dort hatte sie schon oft das Abendessen für den Vater geholt.
    Nachdem sie die Tür hinter sich zugezogen hatte, war es plötzlich still. Erschreckend still .
    Der Junge saß noch immer regungslos am Tisch. Er hatte sich nicht getraut, von seinen Nudeln zu essen. Er starrte die Tischplatte an. Die gute alte Tischplatte, in der er jede Maserung kannte.
    »Du sollst den Dreck wegmachen, hörst du schwer!«, fuhr der Vater ihn an.
    Ruckartig erhob der Junge sich von seinem Platz und holte die Reinigungsmittel aus dem Fach unter der Spüle. Er ließ warmes Wasser in den Eimer laufen, kniete sich hin und begann, zunächst die Scherben des Tellers aus der Nudelmatsche zu klauben.
    Plötzlich trat ihn der Vater mit dem Fuß in den Rücken und er landete der Länge nach in den Nudeln mit Tomatensoße. Hinter ihm stieß der Vater ein heiseres Lachen aus.
    »Tunte«, sagte er. Dann stand er auf, ging zum Kühlschrank und nahm eine Flasche Bier heraus. Nachdem er sie geöffnet hatte, trank er die Hälfte in einem Zug.
    Der Junge rappelte sich aus den Nudeln auf. Ohne sich das Gesicht oder die Hände abzuwischen, drehte er sich um und sah den Vater an.
    »Was glotzt du so blöd, hä!«
    »Ich werde dich töten«, sagte der Junge, wohl wissend, was er damit heraufbeschwor.
    Der Vater bekam einen

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