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Tief im Wald und unter der Erde - Winkelmann, A: Tief im Wald und unter der Erde

Titel: Tief im Wald und unter der Erde - Winkelmann, A: Tief im Wald und unter der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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geworden. Er war ohne Penis auf die Welt gekommen, und vielleicht fehlte ja noch mehr! Konnte es sein, dass Menschen ohne Seele zur Welt kamen?
    Anouschka wollte sich nicht mit solchen Gedanken belasten. Sie wollte auf keinen Fall Mitleid empfinden mit diesem Monstrum, das Tim getötet hatte.
    Er wippte ohne Unterlass, starrte dabei zu Boden. Speichel lief aus seinem rechten Mundwinkel. Er schien sich in eine andere Welt verabschiedet zu haben.
    War das ihre Chance?
    Sollte sie jetzt handeln?
     
    Angst und Abscheu hatten damals im Blick seiner Mutter gelegen, nur noch Angst und Abscheu. So oft hatte sie ihm zugeflüstert, wie schön sie ihn fand, hatte es durch die Liebkosungen ihrer Hände beim Verreiben des Öls auch immer wieder bewiesen, aber es war nur eine Lüge gewesen! Nur eine Lüge!
    Erst jetzt, nachdem er es einer Fremden gegenüber formuliert hatte, erkannte Karel, was der Blick seiner Mutter damals in ihm ausgelöst hatte.
    Seit jener Nacht, als der einzige Mensch, der ihm je etwas bedeutet hatte, ihn verriet, waren alle Emotionen in ihm abgestorben. Übrig geblieben war nur das Ungeheuer, entfesselt und stark wie nie zuvor, da es auf nichts und niemanden mehr Rücksicht nehmen musste. Von da an übernahm es die Aufgabe, sein Inneres vor weiteren Verletzungen zu schützen, jene Aufgabe, die zuvor seine Mutter erfüllt
hatte. Das machte es gut, aber es verlangte auch einen Preis dafür. Das Ungeheuer wollte töten!
    Und darum würde er weitermachen.
    Würde die Polizistin das verstehen?
    Nein.
    Warum sollte er dann mit ihr darüber sprechen?
    Diese dunkle Schönheit war zwar ein perfektes Bildnis, sie erkannte sogar seine Schönheit an, aber würde sie ihn am Ende nicht genauso anschauen wie alle anderen? Mit Angst und Abscheu in den Augen?
    Karel Murow packte mit geschlossenen Augen das Messer zwischen seinen Beinen fester.
     
    Als Nele Dag Hendrik beinahe erreicht hatte, hörte sie es wieder. Diesen fiependen Ton in rascher Folge, so als wäre irgendwo eine Maus in die Fänge eines Beutetiers geraten.
    Oder als melde sich ein Handy, dessen Akku fast leer war!
    Die Eingebung war wie ein Donnerschlag.
    Nele Karminter blieb abrupt stehen, drehte sich in Richtung des Unterholzes und lauschte. Nachdem Hendrik sie vorhin so erschreckt hatte, hatte sie das Geräusch vergessen. Jetzt verfluchte sie sich innerlich dafür, die Verbindung nicht sofort hergestellt zu haben, schließlich hatten auf dem Weg zum Bunker alle nach Tims Handy gesucht, das hier irgendwo liegen musste.
    Hendrik kam zu ihr zurück. »Frau Karminter … Nele …«, begann er, doch Nele brachte ihn mit einer raschen Handbewegung zum Schweigen.
    Sie lauschte erneut, doch das Fiepen war verstummt.
    »Haben Sie das nicht gehört?«, fragte sie Hendrik ohne ihn anzusehen, den Blick starr auf das undurchdringliche Unterholz gerichtet.

    »Was denn?«
    Sie lauschten zusammen. Hendrik ließ sich von ihr anstecken, ohne zu zögern, und das machte ihn in diesem Moment zu ihrem Freund auf Lebenszeit. Er hätte ebenso gut auch argwöhnen können, dass sie ihn hinhalten wollte.
    Das Fiepen erklang erneut, diesmal leiser.
    Jetzt hörte Hendrik es auch.
    Er packte Nele am Arm und zeigte ins Unterholz. »Das kommt von da drüben!«
    Dort, wo er hinzeigte, war nichts als Schwärze. Beide zückten ihre Stablampen, schalteten sie ein und leuchteten ins Unterholz.
    »Los«, sagte Nele und marschierte voran.
    Hendrik verharrte noch kurz, blickte der abmarschierenden Truppe hinterher, folgte ihr dann aber. Sie gingen hintereinander ins Unterholz, das schnell dichter wurde. Ihre Hosenbeine verfingen sich in den Dornen der wilden Brombeersträucher, und sie mussten sich unter den Zweigen der Büsche hindurchbücken.
    »Die Taschenlampen aus«, zischte Nele, »wenn das Tims Handy ist, leuchtet es vielleicht noch.«
    Beide blieben stehen und löschten die Lampen. Sofort war die Dunkelheit wie eine feste Masse, die sie zu ersticken drohte. Die Augen weit aufgerissen starrten sie in die Schwärze, sahen jedoch nichts, kein Leuchten, kein Schimmern, kein elektronisches Blinken. In dieser Finsternis wäre jedes noch so kleine Licht wie ein Scheinwerfer gewesen.
    Nele spürte ein unangenehmes Kribbeln zwischen den Schulterblättern. Angst wollte sie sich aber nicht eingestehen. Es waren nur überempfindliche Instinkte.
    »Ich höre es nicht mehr. Gehen wir noch ein Stück, es kann ja nicht weit sein«, sagte sie.

    »Wir müssen den anderen Bescheid geben.«
    »Die

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