Tief im Wald und unter der Erde - Winkelmann, A: Tief im Wald und unter der Erde
sobald wie möglich, wenn
sie Nele glaubhaft machen könnte, dass sie erst dann wieder richtig würde schlafen können, wenn Karel Murow hinter Schloss und Riegel säße, müsste sie dann nicht zustimmen?
In der nächtlichen Stille ihrer Wohnung schmiedete Anouschka einen Plan. Grimmige Entschlossenheit und der Wunsch nach Rache für Tim Siebert fachten dabei die Glut an.
»Niemals!«, rief Nele aus und wandte sich demonstrativ ab. »Das ist genau der Schritt zu weit, den wir auf gar keinen Fall gehen dürfen.«
Anouschka stand in ihrem Rücken und fuhr jetzt die Argumente auf, die sie sich in der letzten schlaflosen Nacht zurechtgelegt hatte.
»Aber es ist die einzige Möglichkeit, verstehst du das denn nicht! Wir werden ihn sonst nie bekommen.«
»Dann ist das eben so.«
»Das glaube ich dir nicht, das kannst du doch nicht einfach so hinnehmen. Oder willst du in der ständigen Angst leben, dass er uns eines Tages doch noch besucht?«
Nele drehte sich wieder um. »Wir werden ihn auch so finden.«
»Mach dir doch nichts vor, Nele. Murow ist seit sieben Tagen verschwunden, es gibt nicht eine einzige Spur von ihm. Er hätte längst wieder töten können, ohne dass du es hättest verhindern können.«
Nele fixierte ihre Freundin. Sie hatte den versteckten Vorwurf sehr wohl verstanden, und es wäre nicht nötig gewesen, ihn zu formulieren. Nichts anderes war ihr in den vergangenen Tagen durch den Kopf gegangen. Natürlich könnte Karel Murow weiter töten. Er kam nicht an Anouschka
heran, aber da draußen gab es noch genug andere, unvorsichtige Frauen. Nele wusste das, und es machte sie zunehmend fertig. Trotzdem wollte sie sich auf den haarsträubenden Vorschlag nicht einlassen.
»Du bist überhaupt nicht in der Verfassung, einen solchen Einsatz durchzustehen. Es bleibt bei meinem Nein.«
Anou kam einen Schritt näher und nahm Neles Hände. »Ich werde nie wieder in der Verfassung sein, wenn wir diese Sache nicht zu Ende bringen. Vielleicht kannst du mit der Angst vor Murow leben, ich kann es ganz sicher nicht. Willst du wirklich, dass ich den Dienst quittiere und mich irgendwo im Ausland verstecke?«
»Das würdest du tun?«
Anou sah ihr direkt in die Augen. »Du bist nicht da unten in seiner Gewalt gewesen … du hast ihn nicht so kennen gelernt wie ich. Karel Murow wird nicht ruhen, bis er mich getötet hat, das weiß ich genau. Wenn du diesen Einsatz ablehnst, zerstörst du mein Leben … und wahrscheinlich sogar unsere Liebe.«
Es war unfair, Nele mit ihrer Beziehung unter Druck zu setzen, Anou wusste das, doch gleichzeitig war es auch das einzige schlagkräftige Argument. Sie kam sich schlecht dabei vor, es zu benutzen, spürte aber gleichzeitig, dass es von der Wahrheit nicht weit entfernt war. Ihr weiteres Leben, ihr Zusammenleben, stand und fiel mit der Verhaftung von Karel Murow. Oder mit seinem Tod.
Nele schüttelte den Kopf, eher verzweifelt als abweisend. Sie zog Anouschka zu sich heran, presste sie an sich und blickte starr über ihre Schulter.
»Ich würde es mir niemals verzeihen, wenn dir dabei etwas geschieht.«
Anou nickte und strich ihr über den Rücken. »Das weiß
ich, glaub mir, ich weiß es. Aber es ist die einzige Chance … wir müssen nur clever genug sein, dann wird schon nichts passieren. Vertrau mir.«
Nele drückte sie ein Stück weg und sah sie an. »Ich kann und will das nicht entscheiden. Wir gehen zu Hendrik. Soll er das tun.«
»Frau Rossberg … würden Sie uns für ein paar Minuten allein lassen, bitte.« Dag Hendrik, der die letzten zehn Minuten regungslos hinter seinem Schreibtisch gesessen und zugehört hatte, stand nun auf und begleitete Anouschka zur Tür seines Büros. Seine Hand in ihren unteren Rücken gelegt, bugsierte er sie mit sanftem Druck hinaus.
»Aber ich …«
»Ich muss mit Frau Karminter ein paar Sachen besprechen, dafür haben Sie sicher Verständnis. Wir holen Sie gleich wieder rein, versprochen.«
Mit einem Lächeln drückte er die Tür hinter ihr zu. Dann seufzte er tief, drehte sich um und ging hinter den Schreibtisch zurück. Nele, die bisher an der Fensterbank gelehnt hatte, begann nun, vor dem Schreibtisch auf und ab zu laufen. Dag Hendrik beobachtete sie einen Moment dabei, die Stirn in Falten gelegt.
»Nele … setz dich bitte, ich kann so nicht nachdenken«, sagte er schließlich.
Nele ließ sich mit dem halben Hintern auf die vorderste Kante des Stuhles nieder. Sie knetete ihre Hände.
»Ich …«
Hendrik unterbrach
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