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Tief im Wald und unter der Erde - Winkelmann, A: Tief im Wald und unter der Erde

Titel: Tief im Wald und unter der Erde - Winkelmann, A: Tief im Wald und unter der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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»Aufpassen« dehnte Nele bis zur Lächerlichkeit.
    »Und seien Sie froh, dass ich heute zu müde bin, um auf einen Kollegen zu warten, der Sie ins Röhrchen pusten lässt. Ich kann aber immer noch Anzeige wegen Trunkenheit am Steuer gegen Sie erstatten, auch nachträglich
noch«, schüchterte Nele den Kneipenwirt ein. »Und jetzt hauen Sie endlich ab!«
     
    Sie lief wie eine Göttin! Ihre Füße in den weiß-blauen Sportschuhen berührten den Boden nicht, schwebten wenige Millimeter darüber hinweg, als existiere für sie kein Widerstand, keine Gravitation. Auch in dem schlechten Licht der Straßenlaternen konnte er unter der eng anliegenden Laufhose die Muskeln ihrer Beine spielen sehen, Spannung und Entspannung bei jedem weit ausholenden Schritt, im perfekten Einklang mit ihrer Gesäßmuskulatur, auf der kein Gramm Fett lag. Sie zeigte der Welt die Leichtigkeit und Freiheit einer Göttin, den Anmut einer Fee, die Schönheit eines einzigartigen Körpers. Schon kribbelte es in seinen Fingerspitzen, wenn er sich nur vorstellte, wie sie in seinem Versteck in den Ketten hing und er duftendes Öl auf ihrer Haut verteilte, es einrieb, über diese sehnigen, schlanken Muskeln strich, sie dabei spüren ließ, wer die Macht besaß.
    Während er in langsamem Tempo durch die fast leeren nächtlichen Straßen hinter ihr herrollte, achtete er nicht mehr auf den Verkehr, fokussierte nur noch das Spiel ihrer Muskeln und das einladende Wippen des dunklen Pferdeschwanzes unter der weißen Schirmmütze.
    Er musste sie haben! Er musste sie unbedingt haben! Nur jemand wie sie würde wahre Schönheit erfassen und beurteilen können.
    Den ganzen Nachmittag war er ihr gefolgt, hatte sie aber nicht wirklich beobachten können, da stets dieser Polizist mit dem affigen Kinnbart dabei gewesen war. Oft hatte er sich in weiter Entfernung aufhalten müssen, hatte sie zwischendurch auch verloren, später aber wiedergefunden,
weil sie in dem Passat an ihm vorbeigefahren waren. Erst jetzt, nachdem er sie zu ihrer Wohnung begleitet hatte, in diesem intimen Moment auf den leeren Straßen, kam er ihr wirklich nahe. Aber natürlich nicht nahe genug! Nicht so wie -
    Ein Fahrradfahrer schoss auf die Kreuzung, konnte ihr gerade noch ausweichen, drehte sich um, rief irgendetwas und machte dabei eine obszöne Geste. Dadurch sah er seinen Wagen nicht und musste unmittelbar vor der Motorhaube erneut scharf bremsen. Über die kurze Distanz starrten sie sich durch die Windschutzscheibe an. Die Augen des Jungen erschrocken und verärgert zugleich. Es drängte ihn, auszusteigen und dem frechen Kerl den Hals aufzuschlitzen, gleich hier auf der Straße. Er tat es nur nicht, weil er dann die Frau nicht bekommen würde. Außerdem verschwand der Fahrradrüpel so rasant in der Nacht, wie er aufgetaucht war.
    Schnell hatte er sie wieder eingeholt, hielt nun aber einen größeren Abstand. Fast eine Stunde lief sie, glitt dahin, ohne sichtlich zu ermüden. Als sie in ihrem Wohnblock verschwand, parkte er seinen Wagen zwischen zwei anderen, stellte den Motor ab und starrte durch die Windschutzscheibe hinauf. In ihrer Wohnung ging das Licht an. Er merkte sich genau, wo.
    Trotz ihres Berufes war sie so unaufmerksam, so naiv. Er würde sie zu sich holen, ohne dass es jemand merkte.
     
    Der verdammte Kaffeeautomat war kaputt!
    Ein Pappschild hing daran, kaum leserlich bekritzelt: »Out of order«.
    »Witzbolde«, sagte Nele und wandte sich ab. Sie hätte den Kaffee dringend gebraucht, auch wenn er beschissen
schmeckte. Jetzt musste sie die Besprechung ohne durchstehen. Es ließ sich nicht ändern. Sie lief den menschenleeren Gang hinunter, blieb vor Döpners Tür stehen, zog ihre Kleidung zurecht, fuhr einmal mit den Finger durch ihr kurzes Haar und klopfte.
    Hendrik öffnete die Tür und ließ sie eintreten. Döpners Vorzimmerdame hatte längst Feierabend gemacht. Nele versuchte, in Hendriks Lächeln eine Botschaft zu erkennen, doch da war nichts zu finden. Der Mann hatte seine Mimik wirklich unter Kontrolle, nur wenn er es wollte, ließ er andere darin lesen.
    Der übergewichtige und in den letzten Monaten zusehends gealterte Döpner stand auf, kam um den Schreibtisch herum und reichte ihr die Hand. Er sah so müde aus, wie Nele sich fühlte.
    »Hauptkommissarin Karminter … ich danke Ihnen, dass Sie zu dieser Stunde noch gekommen sind.«
    »Ist doch selbstverständlich.«
    »Nein nein, das ist es ganz und gar nicht. Ich kann mir vorstellen, dass Sie einen harten Tag

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