Tief im Wald und unter der Erde - Winkelmann, A: Tief im Wald und unter der Erde
hatten, schließlich war ich früher auch mal an der Front. Da will man abends nur nach Haus, die Füße hochlegen und ein Bier trinken. Vor allem, wenn man Führungsaufgaben innehat. Setzen Sie sich doch bitte. Kann ich Ihnen etwas anbieten? Wir haben gerade frischen Kaffee aufgebrüht. Das hat Herr Hendrik übernommen, ich kann also für nichts garantieren.« Er lachte freundlich.
Nele entspannte sich etwas und ließ sich in den Besuchersessel fallen. »Ein Kaffee wäre toll.«
Dag Hendrik goss ihr ein und stellte die Tasse vor sie hin.
»Schwarz, richtig?«
Nele nickte. »Gute Beobachtungsgabe.«
Er zuckte mit den Schultern. »Man tut, was man kann.«
Döpner und Hendrik setzten sich zu ihr in die Besuchergruppe. Döpner bat sie um den Stand der Ermittlungen. Es dauerte nur ein paar Minuten, ihn darzulegen. Die neueste Entwicklung hinsichtlich der Marienseer Bürgerwehr baute sie gleich mit ein. Jetzt, in dem sicheren Büro sitzend, konnte sie fast schon darüber lachen, aber vorhin war ihr überhaupt nicht danach gewesen. Hätte jemand anderer als Bockhop in dem Wagen gesessen, irgendein ihr nicht bekannter Einwohner des Ortes, und hätte der eine falsche Bewegung gemacht …! Nele mochte es sich gar nicht ausmalen.
Als sie fertig war, legte Döpner die Handflächen gegeneinander und stützte sein faltiges Kinn auf die Fingerspitzen. Seine wässrigen Augen blickten sie an. Nele erkannte die noch immer wache Intelligenz dahinter.
»Hört sich nach Stillstand an, nicht wahr?«, sagte er.
»Zumindest haben wir aktuell keine Richtung, in die wir besonders nachdrücklich ermitteln könnten.«
»Brauchen Sie irgendwas? Was könnte helfen?«
»Zu diesem Zeitpunkt … mir fällt nichts ein. Kommissar Zufall könnte helfen, aber der hat sich noch nicht blicken lassen.«
Diesmal fiel Döpners Lächeln sparsamer aus.
»Sie können sich vorstellen, dass nach der Pressekonferenz der Druck gewachsen ist. Niemand will einen Serienmörder. Selbst kommunale Politiker mischen sich jetzt schon in laufende Ermittlungen ein.« Döpner machte eine Pause und trank langsam von seinem Kaffee. Dann sah er sie wieder an.
»Ich sage Ihnen etwas, Frau Karminter. Ich schätze Ihre Art und Ihre Arbeit, habe ich von Anfang an getan. Herr
Hendrik und ich halten Ihnen weiterhin den Rücken frei, aber wir brauchen irgendwas Greifbares innerhalb der nächsten drei Tage. Ansonsten müssen wir uns eine neue Strategie einfallen lassen.«
»Und wie sollte die aussehen?«
Döpner zuckte mit den Schultern. »Vielleicht ein Köder.«
»Daran habe ich natürlich auch schon gedacht. Aber das ist gefährlich, Sie wissen das, und ich würde wirklich nur als allerletztes Mittel dazu greifen. Und auch nur, wenn sich jemand Freiwilliges findet.«
»Natürlich, das versteht sich von selbst. Aber denken Sie noch mal darüber nach, ob Sie damit noch die drei Tage abwarten wollen oder nicht. Von uns haben Sie grünes Licht für eine solche Aktion.«
Nele nickte nur und nippte an ihrem Kaffee. Er war nicht mehr ganz heiß, schmeckte aber gut. Ziemlich stark. Es folgten noch ein paar Floskeln, aber eigentlich war das Gespräch beendet. Die beiden Herren hatten Nele gezeigt, in welche Richtung es ging. Sie hatte noch genau drei Tage, um Resultate auf den Tisch zu legen. Danach würden sie die Strategie ändern, und ganz sicher hätte das nicht nur etwas mit dem Einsatz eines Köders zu tun. Nele war nicht naiv. Sie wusste, wie es in dieser Welt lief.
Döpner verabschiedete sie freundlich in den Feierabend und wünschte ihr viel Erfolg. Hendrik begleitet sie auf den Flur hinaus. Sie gingen ein paar Schritte nebeneinander her. Sein Aftershave roch ausnehmend gut.
»Er mag Sie«, sagte Hendrik schließlich.
»Ja, für noch genau drei Tage.«
»Nehmen Sie es ihm nicht übel, er steht auch unter Druck. Seine Zeit hier ist bald um, und er möchte nicht
mit einem unerledigten Serientäter im Nacken in Pension gehen. Da können sie vorher jahrelang alles Mögliche geleistet haben, am Ende bleibt nur diese eine Sache, an die sich alle erinnern werden.«
Nele blieb stehen und sah Hendrik an. »Können Sie sich vorstellen, wie egal mir das ist, Kriminalrat Hendrik? Derlei politisches Hintergrundgeplänkel mag für Sie und Herrn Döpner wichtig sein, für mich ist es das nicht. Ich sehe vor mir drei vermisste Frauen, die wahrscheinlich längst tot sind. Und wenn sie es nicht sind, leiden sie irgendwo Höllenqualen.« Nele zögerte und sah kurz zu Boden.
Weitere Kostenlose Bücher