Tief im Wald und unter der Erde - Winkelmann, A: Tief im Wald und unter der Erde
versucht?«
»Es lag in ihrer Wohnung.«
»Schade.«
Die Schrebergartenkolonie lag am westlichen Stadtrand von Lüneburg, eingezwängt zwischen der Eisenbahnlinie und der Autobahn. Das Areal war nicht besonders groß, aber wie alle diese Anlagen unübersichtlich. Zudem konnte nur der Mittelweg, der gerade hindurchführte, mit dem Wagen befahren werden. Alle anderen davon abzweigenden Stichwege waren zu schmal, reichten gerade für die Breite einer Schubkarre aus.
Dag Hendrik und Nele Karminter ließen den Wagen vor einer rot-weißen Metallschranke stehen und stiegen aus.
Von der Autobahn war dank der Lärmschutzwand nicht viel mehr zu hören als ein beständiges Rauschen. Ganz anders die Bahnlinie, an deren Damm die Kolonie unmittelbar grenzte. Gerade fuhr ein Zug vorbei, der Lärm war ohrenbetäubend. Nele fragte sich, wie man vor dem Getöse der Stadt ausgerechnet hier Erholung finden sollte.
Ihre Eltern hatten während Neles Kindheit auch einen Schrebergarten gepachtet, doch der war ruhig am Ufer eines Sees gelegen und hatte für die Wochenenden im Sommer immer eine perfekte Idylle geboten. Sie erinnerte sich gern an die langen Abende um den dreibeinigen Grill über offenem Feuer, die Stille, die leise Musik der Nachbarn und den Geruch des braunen Wassers.
Ein älterer Mann in grünem Overall kam ihnen entgegen. Sein Bauch spannte den Reisverschluss bis an die Schmerzgrenze. Auf dem Kopf trug er eine Baseballkappe mit einem »Fendt«-Aufdruck.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte er.
»Wir suchen eine bestimmte Parzelle.«
»Ich bin hier der Hausmeister, sozusagen. Wen suchen Sie denn?«
Nele sagte es ihm, trat vor und ließ den Mann einen Blick auf ihren Dienstausweis werfen. Das schüchterte ihn nicht ein, schien aber seine ohnehin ausgeprägte Neugier anzustacheln.
»Na endlich kommt mal jemand, aber gleich von der Kripo, das finde ich jetzt doch ein bisschen übertrieben.«
»Ich verstehe nicht.«
»Na, ich hab doch schon vor Jahren das erste Mal beim Ordnungsamt angerufen. Eben wegen dieser Parzelle. Das geht doch nicht! Stellen Sie sich mal vor, jeder würde sein Grundstück so verkommen lassen. Wie würde das hier aussehen.«
»War jemand vom Amt hier?«
Der Mann, der sich als Kurt Siebenschlag vorstellte, winkte ab. »Ach wo, das interessiert die doch gar nicht. Ich bin ja hartnäckig und hab die jedes Jahr viermal genervt damit. Zum letzten Mal allerdings vor einem Jahr, da hat mir der
Fachbereichsleiter deutlich zu verstehen gegeben, dass sie nichts tun können. Die Besitzerin lebt noch, ist aber nicht auffindbar. Unser Problem, meinte der. Aber wir haben hier auch eine Satzung, und in der steht klipp und klar -«
»Herr Siebenschlag«, unterbrach Nele den Redefluss des Mannes. »Können Sie uns sagen, ob in der letzten Zeit jemand auf der Parzelle gewesen ist?«
»Ach was, schon seit Jahren nicht mehr. Deswegen ja die Aufregung. Ich kann Ihnen sagen -«
»Vorerst würde es uns reichen, wenn Sie uns zu dieser Parzelle führen könnten.«
Siebenschlag warf ihr einen pikierten Blick zu, ging dann aber voraus. Er redete ununterbrochen, doch weder Nele noch Hendrik hörten zu. Nele war enttäuscht. Wenn seit Jahren niemand mehr hier gewesen war, kam das Gartenhäuschen als Spur auf der Suche nach Karel Murow nicht in Frage. Nele hatte nicht vermutet, Anou oder eines der anderen Opfer hier zu finden, dafür war eine Kleingartenkolonie zu eng, zu viele neugierige Menschen, aber auf eine Spur zu Murow hatte sie doch gehofft.
Die Parzelle der Murows lag am Ende des Stichweges.
»Der einzige Grund, warum ich nicht selbst Hand angelegt hab, ist die Lage«, sagte Siebenschlag. »Hier hinten an den Gleisen stört es kaum jemanden. Diese Grundstücke will ja heute auch keiner mehr.«
Hendrik bedankte sich bei dem Mann und bat ihn, auf dem Weg zu bleiben. Siebenschlag schaute erneut pikiert, blieb aber vor dem Zaun stehen, während Nele und Hendrik die Parzelle betraten.
Der Garten war verwildert. Das Gras, zu dieser Jahreszeit noch längst nicht grün, war kniehoch, Büsche wucherten ungehemmt, Brennnesseln verschafften sich ihren Platz,
wilde Brombeeren vom letzten Jahr streckten ihre blattlosen Triebe in alle Richtungen. Die billigen Betonplatten auf dem Weg zum Häuschen waren aufgeworfen von Wurzeln und Löwenzahn. An der linken Flanke der Parzelle stieg der Bahndamm in die Höhe.
Nele erschrak, als mit hoher Geschwindigkeit ein ICE vorbeiraste. Er machte weniger Lärm als die
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