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Tief

Tief

Titel: Tief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Croft
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Seiwal beinahe ausgerottet. Wenn eine Spezies so selten geworden war, dass sich die Jagd nicht mehr lohnte, wechselten sie einfach zum nächstgrößeren Wal. Nun, die nächstgrößere Art war der Zwergwal, und er kommt als Einziger noch in ausreichend großen Populationen vor. Um den Zwergwal vor der Ausrottung zu schützen, opferte ich eine Zeit lang etwas, was mir sehr wichtig ist: meine akademische Integrität. Ich manipulierte die Untersuchungen so, dass die geschätzte Population dreißig Prozent unter der tatsächlichen Zahl lag. Ich streite nicht ab, dass dies ein aktiver politischer Akt war, und ich bedauere keineswegs, dazu beigetragen zu haben, dass die Aufhebung des Moratoriums scheiterte. Dass ich theoretisch das Falsche getan habe, kann man an der Tatsache sehen, dass ich von meinem Posten als Direktor des Instituts für Meeresbiologie enthoben wurde; dass ich jedoch moralisch recht hatte, beweist die Tatsache, dass man mich nur drei Wochen später wieder eingesetzt hat …
    Mit gesenktem Kopf schleppte sich Derek den Strand entlang. Über seiner Schulter hing eine schwere Tasche mit gefüllten Spritzen. Ein paar Wal-Mentoren versuchten, ihn in ein Gespräch zu verwickeln, und er tat sein Bestes, um ihre Fragen zu beantworten. Ja, die Wale würden morgen wieder ins Wasser zurückkehren; nein, es würden keine Wale mehr getötet werden – aber seine leise, monotone Stimme und seine toten Augen waren ihnen unheimlich, und sie zogen sich zurück. Derek nickte ihnen zu und ging zwischen ihren beiden Tieren – einem Seiwal und einem Zwergwal – hindurch. An den Schwanzflossen blieb er stehen und bückte sich, um seinen Schnürsenkel zu binden. Er zog eine Spritze aus der Tasche.
    Wie jeder Wal-Kenner wusste er natürlich, dass einer der wesentlichsten Unterschiede zwischen Menschen und Walen im Atmungssystem lag. Während Menschen unbewusst ein- und ausatmen, auch im Schlaf, müssen Wale bewusst entscheiden, wann sie atmen. Ein bewusstloser Wal kann das nicht und stirbt.
    Derek hatte vor, die Tiere zu betäuben.
    Er brauchte ungefähr zehn Sekunden für die Injektion bei dem Seiwal. Die leere Spritze steckte er wieder in die Tasche. Ihm wurde übel vor Scham. Aber dann dachte er an Barlow. Und an Lizzie. Und seine Hand schloss sich um die nächste Spritze.
    Später bemerkt Blackfin, dass ein Mensch an seiner Schwanzflosse steht. Eine weitere Dunkelheit lang ist er hilflos am Rand der Menschenwelt gestrandet, und doch empfindet er weder Panik noch Ungeduld. Er und seine Brüder und Schwestern haben beschlossen, dort zu bleiben, wo sie sind, auch wenn die große Flut kommt und sie von ihrem steinigen Gefängnis hebt. Von einem Mond bis zum nächsten werden sie am Strand bleiben und noch darüber hinaus, wenn es die Menschen dazu bringt, das zu sehen, was gesehen werden muss.
    Blackfin spürt nichts, als die lange Nadel durch seinen Speck in sein Gewebe dringt.
    *  *  *
    1.00 Uhr nachts. Zum ersten Mal, seit Blackfin in Brighton gestrandet war, ging Roddy einigermaßen beruhigt ins Bett. Seine persönliche Erklärung umfasste fünf Seiten. Darin stand, dass die Flut die einzige Möglichkeit war, so viele Wale wieder ins Wasser zu bringen, ohne sie zu töten. Er hatte auf verständliche Art demonstriert, wie absurd Kate Gunnings Behauptung war, dass er für die Massenstrandung verantwortlich sei. Seine Argumente für die Durchführung von sieben Nekropsien würden immer noch nicht auf ungeteilte Zustimmung stoßen, aber es gab jetzt wenigstens die Möglichkeit, sich damit auseinanderzusetzen. Und am wichtigsten war vielleicht, dass er in der Erklärung zugab, falsch mit den Medien umgegangen zu sein, und sich dafür entschuldigte.
    Als er den Text noch einmal durchlas, fiel ihm ein Stein vom Herzen. Er überprüfte noch einmal die Rechtschreibung und nahm ein paar kleinere Änderungen vor, dann mailte er ihn an den Pressesprecher des Medien-Centers zur sofortigen Veröffentlichung. Danach stellte er sich – gegen die ausdrückliche Anordnung der Polizisten, die ihn beschützen sollten – ans Fenster und blickte auf den Strand.
    Es war eine dunkle Nacht. Die Menge der Protestierenden, die etwa auf ein Viertel geschrumpft war, war nur verschwommen zu erkennen. Sie lagen in ihren Schlafsäcken oder hockten in Grüppchen zusammen und hielten Wache, bereit, den Kampf mit der Polizei aufzunehmen, sollte erneut etwas Schreckliches mit den Walen geschehen. Vereinzelt flackerten Lagerfeuer, und dahinter konnte

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