Tiefe Wunden
darüber nach, Bodenstein.« Nierhoffs Stimme klang warnend. »Eigenmächtigkeiten könnten einen sehr nachteiligen Einfluss auf Ihre weitere Karriere haben. Sie wollen doch wohl nicht für den Rest Ihres Lebens in Hofheim sitzen und Mördern und Bankräubern hinterherjagen. «
»Wieso nicht? Das ist der Grund, weshalb ich überhaupt Polizist geworden bin«, entgegnete Bodenstein, verärgert über Nierhoffs versteckte Drohung und die beinahe verächtliche Abqualifizierung seiner Arbeit.
Mit seinen nächsten Worten machte es der Kriminaldirektor noch schlimmer, auch wenn es versöhnlich gemeint war. »Ein Mann mit Ihrer Erfahrung und Ihren Begabungen sollte sich der Verantwortung stellen und eine leitende Position übernehmen, Bodenstein, auch wenn es unbequem ist. Denn das ist es, das kann ich Ihnen sagen.«
Bodenstein bemühte sich, die Fassung zu wahren. »Meiner Meinung nach gehören die besten Leute in die Ermittlung «, sein Tonfall grenzte an Insubordination, » und nicht hinter irgendeinen Schreibtisch, wo sie ihre Zeit mit politischem Geplänkel vergeuden müssen.«
Der Kriminaldirektor hob die Augenbrauen und schien zu überlegen, ob diese Bemerkung als Beleidigung gemeint war oder nicht.
»Manchmal frage ich mich, ob es nicht ein Fehler von mir war, Ihren Namen beim Innenministerium im Bezug auf die Entscheidung um meine Nachfolge ins Gespräch zu bringen«, sagte er kühl. »Wie mir scheint, fehlt es Ihnen ganz und gar an Ehrgeiz.«
Das verschlug Bodenstein für ein paar Sekunden die Sprache, aber er war zu eiserner Selbstbeherrschung fähig und hatte viel Übung darin, seine Gefühle hinter einer unbeteiligten Miene zu verbergen.
»Machen Sie jetzt keinen Fehler, Bodenstein«, sagte Nierhoff und wandte sich zur Tür. »Ich hoffe, wir haben uns verstanden.«
Bodenstein zwang sich zu einem höflichen Kopfnicken und wartete, bis sich die Tür hinter Nierhoff geschlossen hatte. Dann griff er zu seinem Handy, rief Pia Kirchhoff an und schickte sie direkt nach Frankfurt in die Rechtsmedizin. Er hatte nicht vor, die bereits genehmigte Obduktion abzusagen, egal, wie Nierhoff reagieren würde. Bevor er sich selbst auf den Weg nach Frankfurt machte, schaute er im Besprechungsraum vorbei. Ostermann, Fachinger und die inzwischen eingetroffenen Kriminalkommissare Frank Behnke und Andreas Hasse blickten ihm mehr oder weniger erwartungsvoll entgegen.
»Sie können wieder nach Hause gehen«, sagte er knapp. »Wir sehen uns Montag. Sollte sich etwas ändern, werde ich Sie informieren.«
Damit wandte er sich ab, bevor einer seiner verblüfften Mitarbeiter eine Frage stellen konnte.
Robert Watkowiak trank das Bier aus und wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab. Er musste pinkeln, aber er hatte keine Lust, an den halbstarken Idioten vorbeizugehen, die neben der Tür zu den Klos seit einer Stunde Dart spielten. Erst vorgestern hatten sie ihn blöd angemacht und ihm seinen Stammplatz am Tresen streitig machen wollen. Er warf einen Blick in Richtung Dartscheibe. Nicht dass er nicht mit ihnen fertig geworden wäre, aber er war einfach nicht in Stimmung für einen Krach.
»Mach mir noch eins.« Er schob das leere Glas über den klebrigen Tresen. Es war halb vier. Jetzt hockten sie alle zusammen, herausgeputzt wie die Pfingstochsen, soffen Champagner und taten so, als seien sie überglücklich, den Geburtstagder alten Schlange feiern zu dürfen. So ein verlogenes Pack! Eigentlich hatten sie alle nicht viel füreinander übrig, aber bei solchen Anlässen spielten sie die große glückliche Familie. Ihn hatte man nicht eingeladen, klar. Davon abgesehen wäre er sowieso nicht hingegangen. In seinen Tagträumen hatte er sich genussvoll ausgemalt, wie er ihr die Einladung verächtlich vor die Füße geworfen und in ihr entsetztes und schockiertes Gesicht gegrinst hätte. Erst gestern hatte er begriffen, dass man ihm diese Genugtuung verwehrt hatte, indem er überhaupt nicht eingeladen wurde.
Die Bedienung schob ihm ein frisches Pils hin und machte einen Strich auf seinem Deckel. Er griff nach dem Glas und bemerkte verärgert, dass seine Hand zitterte. Scheiße! Die ganze bescheuerte Bagage war ihm so was von egal! Sie hatten ihn schon immer wie den letzten Dreck behandelt und ihn spüren lassen, dass er nicht richtig zu ihnen gehörte, weil er ein unerwünschter Bastard war. Sie würden hinter vorgehaltener Hand über ihn tuscheln, sich vielsagende Blicke zuwerfen und die Köpfe schütteln, diese selbstgerechten
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