Tiefe
ins Boot, sie löste den Festmacher. In der Bucht herrschte Windstille, er setzte sich an die Ruder.
»Warte, bis das Kind geboren ist. Danach solltest du sie wegbringen. Ein Kind überlebt nicht da draußen. Wie viele Kinder im Lauf der Jahre dort gestorben sind, kann man nicht zählen.«
Er begann zu rudern.
»Grüße sie, sag ihr, daß ich komme«, rief sie. »Wir werden das Kind herausholen, und es wird ihm gutgehen, wenn ihr nur von da verschwindet.«
Er ruderte aus der Bucht heraus, bis er Wind bekam. Dann hißte er das Segel und steuerte hinaus.
Er schämte sich, wenn er an die Flucht dachte, wie nahe sie gewesen war. Wie ein Pirat hätte er ihr Boot gestohlen und sie verlassen. Jetzt segelte er, so schnell er konnte, damit sie nicht anfangen sollte zu glauben, er hätte sich tatsächlich aufs Meer hinausbegeben.
Er hatte es eilig. Und das Meer trug immer noch.
Der August ging seinem Ende entgegen, es blies ungewöhnlich viel, hartnäckige Westwinde, ein herbstliches Gewitter zog vorüber, ein Blitz schlug auf Armnö in eine Kiefer.
Er dachte, das Vergessen und die Erinnerung hätten vielleicht gemeinsame Schlüssel. Oder waren sie Angeln an derselben Tür? Kristina Tacker und das Kind glitten fort. Aber wo befand er sich selbst?
der zu mir selbst. Wo ich auch stehe, zieht der Kompaß in mir in verschiedene Richtungen.
In meinem ganzen Leben bin ich herumgeschlichen und habe versucht, nicht mit mir selbst zusammenzustoßen.
Ich weiß nicht einmal, wer ich bin, und ich will es auch nicht wissen.
Sara Fredrika spürte, daß ihr Körper ruhig war. Sie sprach ständig von der Reise, wenn das Kind erst da wäre.
Die Gespräche wurden manchmal unerträglich.
Die Schäre wurde allmählich eine Last, ein Ballast in den Taschen, der es ihm immer schwerer machte, sich zu bewegen. Er dachte an das, was Engla gesagt hatte, über die Klippen, die einen bis auf die Knochen abnagten.
Jeden dritten oder vierten Tag setzte er sich hin, um einen Brief an Kristina Tacker zu schreiben.
An der Südseite hatte er eine Klippenformation gefunden, die ihm eine Bank zum Sitzen und eine rauhe Tischplatte bot.
Er beschrieb die Reise mit dem Schiffskonvoi Richtung Bornholm und zur polnischen Küste. Es sei eine gefahrvolle, aber notwendige Expedition gewesen. Jetzt sei er wieder in schwedischen Fahrwassern, zufällig sei er in Östergötland gelandet, zwischen den Schären, in denen er schon so viel Zeit verbracht habe. Bald würde er nach Stockholm zurückkehren, der Auftrag ziehe sich zwar in die Länge, aber ein Ende sei rück. Er fragte nach Laura, danach, wie es ihr selbst gehe, und nicht zuletzt nach ihrem Vater. War er wieder bei Kräften? Hatte man den Täter geschnappt?
Aber er schrieb auch über sich selbst, versuchte, etwas von seiner eigenen Verzweiflung zu vermitteln, ohne die Wahrheit zu enthüllen. Wenn ich allein bin, komme ich mir manchmal so nahe, daß ich verstehe, wer ich bin. Aber dann bist du nicht da, kein anderer kann es sehen, nur ich selbst, und das ist nicht genug.
Er zögerte, ob er die letzten Zeilen weglassen sollte. Aber er ließ sie stehen, er fühlte, daß er den Mut dazu hatte. Er vergrub die Briefe unter einem Grasbüschel, verpackt in einem wasserdichten Futteral. Gegen Ende August beschloß er, wenigstens einen von den vielen Briefen abzuschicken. Er hatte vorgehabt, die Briefe einem Fischer oder Jäger zu übergeben, wenn sie die Schäre passierten. Aber niemand ging an Land, die Segelboote waren manchmal in den Buchten zu sehen, aber sie legten nie an. Eines Tages beschloß er, nicht länger zu warten. Er sagte zu Sara Fredrika, daß er sich vorgenommen habe, am letzten Sonntag im August in die Kirche von Gryt zu gehen.
»Ich bin nicht besonders gläubig«, sagte er. »Aber schließlich entsteht so etwas wie eine große Leere.«
»Wenn du Glück hast, kannst du segeln«, sagte sie. »Wenn Flaute ist, hast du weit zu rudern.«
Sie standen in der Dämmerung auf, sie folgte ihm hinunter zur Bucht. In den Ölmantel hatte er seine Uniform gewickelt.
»Du hast einen guten Wind zur Kirche und auch wieder zurück«, sagte sie. »Einen östlichen, der nach Norden zieht. Sing einen Choral für mich, hör dich auf dem Kirchplatz ein bißchen um. Ich weiß nicht mehr, welche noch leben und welche schon tot sind. Bring auch Neuigkeiten über die Alten mit.«
Er unterbrach die Fahrt einmal und ging auf einer der Inseln im Bussund an Land. Dort zog er die Uniform an und rieb einen Fleck von
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