Tiefe
ergreifen, die Segeljolle nach Norden oder Süden steuern, vielleicht auch nach Osten, nach Gotland oder weiter in die Bucht von Riga.
Er wendete nach Westen, zur Hebamme hin, und holte die Schoten dicht. Das Boot nahm Fahrt auf, hinter ihm verschmolz Halsskär mit dem Horizont.
Der Augusttag ist wie ein Seezeichen, dachte er. Sauber gescheuert, weiß im Sonnenlicht. Das Meer trug.
Engla hieß sie, die Hebamme. Das war natürlich nicht ihr Taufname, in den Büchern und in der Hebammen-Urkunde stand Eugenia Wester. Aber alle sagten Engla, ihre Mutter hatte gewünscht, daß sie so heißen sollte, sie hatte es in der Nacht geträumt, bevor ihr Kind geboren wurde. Aber der Pastor sagte nein. Er deutete auf das Kirchenbuch und sagte, kein Mensch könne Engla heißen, das grenze schon an Lästerung. Ihr Vater, der Schiffer Fredrik Wester, der nicht an Götter glaubte, sondern an Kompasse, hatte mürrisch vorgeschlagen, das Mädchen trotzdem Engla zu nennen. Was sich auf den Inseln abspielte, konnte der Pastor kaum kontrollieren. So wurde sie zu Engla, sie bekam keine Geschwister und auch keinen Mann, da sie schielte und alles andere als schön war. Als die Eltern tot waren, verkaufte sie den Hof im Dorf und den alten Kutter, der halb versunken unten in der Bucht lag, und zog in eine Kate. Sie war in Norrköping zur Hebamme ausgebildet worden, die Kinder anderer Leute würden ihre Aufgabe im Leben sein. Sie lächelte gern, hatte eine schöne Stimme und scheute sich nicht, selbst das Dach zu flicken, wenn es nötig war. Manchmal verdüsterte sich ihr Gemüt, und sie begab sich auf einsame herbstliche Segeltouren, und alle im Dorf machten sich Sorgen, ob sie zurückkommen würde. Aber sie kam immer wieder nach Hause, im Schutz der Dunkelheit glitt sie mit ihrem Boot in die Bucht, wenn alle Düsterkeit verflogen war.
Vor allem war Engla eine gute Hebamme. Sie holte Kinder heraus, die hängengeblieben waren, sie hatte magische Hände.
Es gab viele Hebammen oder alte Frauen, die wußten, wie man es machte. Sie waren gewiß tüchtig, aber Engla war behende. Wie die Schneiderin oder der Jäger oder derjenige, der die Felsspalten, wo es fast keine Erde gab, fruchtbar machte. Sie hatte viele hoffnungslose Fälle gemeistert, ein Arzt aus Stockholm hatte einmal Kräkmarö besucht, um sie zu interviewen, und obwohl sie auf die Siebzig zuging, fragten die meisten nach ihr.
Er legte in der Bucht an und ging den Hang zum Dorf hinauf. Die Dorfbewohner schienen draußen auf den Wiesen zu sein. Er klopfte bei Engla an, und sie machte ihm sofort die Tür auf. Er hatte sie noch nie gesehen, aber es war trotzdem, als würde er sie kennen. In ihrer niedrigen Küche sagte er, woher er kam.
Sie lächelte. »Saras Kind«, sagte sie. »Ich nehme an, es ist auch deins?«
Er schaffte es nicht zu antworten, aber es kümmerte sie nicht.
»Die Kinder würden sich wohl gern ihre Eltern auswählen«, sagte sie. »Vielleicht tun sie es, ohne daß wir es wissen. Aber Sara Fredrika ist noch längst nicht soweit. Was ist mit ihr?«
Er versuchte es zu erklären, wie Sara es ihm aufgetragen hatte. Spannungen, heftige Bewegungen, Schmerzen im Becken.
Sie stellte ein paar Fragen. »Ist sie hingefallen?«
»Nein.«
»Und du hast sie nicht geschlagen?«
»Warum hätte ich das tun sollen?«
»Weil Männer ihre Frauen schlagen, wenn ihnen etwas gegen den Strich geht. Hat sie Fieber, trägt sie schwer?«
»Sie ruht sich meistens aus.«
»Und als du losgefahren bist, hatte es sich beruhigt?«
»Ja.«
»Dann mußt du zu ihr zurückfahren. Sara Fredrika war nicht viel Freude in ihrem Leben vergönnt. Ich bin auch nicht sicher, ob du ihr welche gebracht hast. Aber du mußt gut auf sie achtgeben. Dann wirst du vielleicht der Mann, den sie braucht.«
»Sie will, daß ich sie von Halsskär wegbringe.«
»Warum sollte sie auch auf der Klippe bleiben wollen, nach all dem Schrecklichen, das sie durchgemacht hat? Es frißt sie auf, diese Außenschäre nagt sie bis auf die Knochen ab.«
Sie folgte ihm zum Segelboot. »Du hast noch nicht einmal gesagt, wie du heißt. Hast du keinen Namen?«
»Ich bin Lars.«
»Es ist mir egal, woher du kommst. Es gibt zwar Gerüchte, daß du ein Militär bist. Aber etwas anderes ist wichtiger.
Daß du nämlich Nils Perssons Sachen trägst. Du hast dich damit versöhnt, daß vor dir jemand da war.«
»Was soll ich ihr sagen?«
»Daß es noch nicht soweit ist. Und daß ich komme, sobald du mich holst.«
Er stieg hinunter
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