Tiefe
»Halstücher sind für die Weiber, nicht für die Kommandanten in der schwedischen Flotte. Aber es wärmt zweifellos die Ohren.«
Zum allgemeinen Erstaunen kratzte er dann Schnee vom Deck und formte, trotz seiner verkrüppelten Hand, einen Schneeball. Den warf er Marineingenieur Welander auf den Rücken.
»Das schwedische Volk ist durch die Schneeballschlachten, die es in der Jugend ausgetragen hat, zu Soldaten erzogen worden«, rief er befriedigt nach dem Volltreffer aus.
Leutnant Jakobsson folgte ihm mit dem Blick. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen. »Ingenieur Welanders Barkasse hat einen heimlichen Spitznamen bekommen«, sagte er in vertraulichem Ton zu Lars Tobiasson-Svartman. »Die Besatzung meinte, ich wüßte nichts davon. Aber es ist die wichtigste Aufgabe eines Kapitäns - neben der, dafür zu sorgen, daß das Schiff nicht zur Hölle fährt -, zu wissen, welche Gerüchte in der Besatzung kursieren. Ich muß Kenntnis davon haben, wenn jemand in der Mannschaft schlecht behandelt wird. Ich will keinen Fall Karl-Heinz Richter haben, jemand, auf dem so schlimm herumgehackt wird, daß er sich ins Meer stürzt. Ingenieur Welanders Boot trägt den Spitznamen >Velig<, also unentschlossen. Eine hämische, aber zutreffende Beschreibung.«
Lars Tobiasson-Svartman verstand. Ingenieur Welander neigte dazu, Meßergebnisse anzuzweifeln, und verlangte völlig überflüssige Wiederholungen.
»Was hat mein Boot für einen Spitznamen?« fragte er.
»Gar keinen. Das ist erstaunlich. Die Matrosen sind erfinderisch. Aber Ihre Besatzung scheint keine Schwäche an Ihnen entdeckt zu haben, die es verdient, daß man eine unsichtbare Flasche am Bug zerschmettert und das Boot mit einem Spitznamen versieht.«
Lars Tobiasson-Svartman verspürte Erleichterung. Er hatte sich ohne sein Wissen unerreichbar gemacht.
Leutnant Jakobsson verzog plötzlich das Gesicht. »Da ist ein Ziehen im Arm«, sagte er. »Vielleicht habe ich mich verrenkt.«
Lars Tobiasson-Svartman beschloß, die Frage zu stellen, die ihn beschäftigte, seit er an Bord gekommen war. »Ich wüßte gern, was mit der Hand geschehen ist.« von Admiralen, die mit dem Kopf unter dem Arm herumspazieren. Aber kein Untergebener wagt, nach dem Gesundheitszustand zu fragen.«
Leutnant Jakobssen gluckste zufrieden. »Als ich ein Kind war, habe ich oft davon phantasiert, daß meine Hand bei einem Piratenüberfall in der Karibik verletzt wurde«, fuhr er fort. »Oder von einem Krokodil Zerfleischt. Es war allzu grau und trist, sich vorzustellen, daß sie immer schon so ausgesehen hatte. Manche haben einen Klumpfuß, andere werden mit einer Hand geboren, die einem Klumpen gleicht. Ich ziehe immer noch den Gedanken vor, von einem dunkelhäutigen Piraten mit einem blutigen Säbel verunstaltet worden zu sein. Aber es widerstrebt mir, einen Kapitänskollegen zu belügen.«
Der Schnee fiel jetzt in dicken Flocken. Ingenieur We-landers Barkasse war schon unterwegs zu der Stelle, an der grau-weiße Schwimmbojen markierten, wo die gestrigen Messungen abgeschlossen worden waren.
Lars Tobiasson-Svartman stieg in seine Barkasse, die Matrosen legten sich in die Riemen, und er machte sein Lot bereit. Da es schneite, hatte er Seekarte, Notizbuch und Stifte in ein wasserdichtes Futteral aus Ölzeug gesteckt.
Die Matrosen bibberten im Schnee. Zwei von ihnen waren schwer erkältet, und der Rotz lief ihnen aus der Nase. Das machte Lars Tobiasson-Svartman rasend. Er haßte Menschen mit verrotzten Nasen. Aber natürlich sagte er nichts. Er war einer der unanständig Feigen, von denen Leutnant Jakobsson gerade geredet hatte.
Sie ruderten auf die Bojen zu. Er stand am Heck, spähte nach Halsskär aus und dachte an die Frau, die Sara Fredrika hieß. Der Gedanke an ihren Mann machte ihn eifersüchtig.
Der Schnee fiel und fiel.
Er hatte das Gefühl, als würde das Meer ihn beobachten wie ein wachsames Tier.
Kurz nach zehn meldete Ingenieur Welander, daß sie auf eine Erhöhung gestoßen waren. Im Abstand von 20 Metern verringerte sich die Tiefe von 63 Meter auf 19. Es schien, als hätten sie eine Felswand gefunden, die sich unsichtbar unter der Meeresoberfläche erhob. Lars Tobiasson-Svartman versenkte sein eigenes Lot. Bei der letzten Messung 10 Meter achteraus hatte er bei 52 Metern den Meeresboden erreicht. Er hielt den Atem an und hoffte auf denselben Wert. Doch das Lot blieb bei 17 Metern stehen. Was er gefürchtet hatte, war eingetroffen. Sie waren auf einen Unterwasserbuckel
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