Tiefe
mit Erbrochenem befleckt, ein Gestank nach Schnaps ging von ihm aus. Zwischen seinen Füßen lag eine leere Branntweinflasche. Die Haare waren wirr, die Augen blutunterlaufen, und als er versuchte aufzustehen, vermochte er nicht, das Gleichgewicht zu halten, sondern fiel zurück zwischen die Seilwinden.
Leutnant Jakobsson betrachtete ihn mit Widerwillen. »Ich hatte schon den Verdacht«, sagte er. »Man hat es manchmal gerochen, er hat das Gesicht abgewandt oder mit halb geschlossenem Mund geredet. Ich habe nur darauf gewartet, daß die Sache auffliegt. Jetzt ist sie aufgeflogen. Wir lassen ihn vorerst hier liegen.« nant Jakobsson ein großes Lager von Flaschen, die meisten leer, einige noch ungeöffnet.
Er überschlug rasch die Zahl. »Marineingenieur Welander hat einen Liter Schnaps pro Tag getrunken, seit er an Bord ist. Nur ein schwerer Alkoholiker kann so viel trinken. Er hat seine Arbeit getan und sich nicht verraten. Aber das geht nur bis zu einer gewissen Grenze. Heute nacht hat er den Meridian des Alkoholikers überschritten. Alles zerbricht, er schert sich einen Teufel um seine Verantwortung und seinen Ruf. Er kümmert sich nicht um seinen Namen, seine Dienststellung oder seine Familie. Er kümmert sich nur um seine verdammten Flaschen. Das ist tragisch, aber nicht ungewöhnlich. Und sehr schwedisch.«
Sie kehrten an Deck zurück. Leutnant Jakobsson ordnete an, Welander in seine Kajüte zu tragen. Sie betrachteten die traurige Prozession. Welanders Arme und Beine hingen schlapp zwischen zwei kräftigen Matrosen.
»Er muß natürlich umgehend das Schiff verlassen«, sagte Leutnant Jakobsson. »Ich werde das Kanonenboot Thule kommen lassen, das ihn an Land bringen wird. Aber wie lösen wir das Problem mit seiner Barkasse?«
Lars Tobiasson-Svartman hatte schon angefangen, das Problem zu durchdenken, als er den volltrunkenen Welan-der zwischen den Seilwinden liegen sah. Zugleich wunderte er sich, daß er selbst nicht geargwöhnt hatte, daß Welander hinter der korrekten Maske schweren Alkoholmißbrauch verbarg. Es irritierte ihn, daß Leutnant Jakobsson einen schärferen Blick hatte als er selbst.
Auf einen neuen Marineingenieur wollte er nicht warten. Es gab einen älteren Matrosen, Karl Hamberg, der für Welander ruderte. Er würde die Verantwortung übernehmen können, bis die Vermessung in diesem Gebiet abgeschlossen war. Für die nächste Aufgabe, die Kontrollmessungen bei der Einmündung von Gamlebyviken, könnten die Verantwortlichen in Stockholm einen Nachfolger bestimmen.
Leutnant Jakobsson hörte sich seinen Vorschlag an und war einverstanden. Hamberg war ein gewissenhafter und energischer Mann aus Öland. Sie riefen ihn zu sich und erklärten ihm die Situation. Er wirkte geehrt und nicht besonders beunruhigt angesichts der Aufgabe, die ihn erwartete.
Spätnachmittags steuerte die Thule von Slätbaken heran und holte Welander ab. Die Besatzung in den Barkassen beobachtete neugierig, wie Welander sich mit schwankenden Schritten hinüber zum Schwesterschiff begab.
Lars Tobiasson-Svartman konnte hören, wie die Ruderer zufrieden knurrten. Sie verbargen nicht ihre Schadenfreude darüber, daß es einen Offizier getroffen hatte.
Er würde Marineingenieur Welander nie wiedersehen. Der Gedanke machte ihm angst. Es war, als würde ihn eine kalte Welle von hinten treffen.
Ich werde nie lernen, Abschied zu nehmen, dachte er.
Niemals.
Jeder Abschied birgt eine Bedrohung.
An diesem Abend zählte er rastlos sein Geld. Er war in seiner Koje und hatte die Petroleumlampe gelöscht. Plötzlich überfiel es ihn wie ein Heißhunger. Er zündete die Lampe an und holte sein schwarzes Notizbuch hervor, in das er regelmäßig seine Saldi eintrug.
Diese Gewohnheit hatte er von seinem Vater übernommen. Hugo Svartman hatte während der gesamten Kindheit und Jugend seines Sohnes zu den überraschendsten Zeiten, manchmal um Mitternacht, aber ebensooft in der Morgendämmerung, über seinen schwarzen Notizbüchern gesessen, um seine Zahlungsfähigkeit und die Bewegung seiner Aktienpapiere zu kontrollieren.
Hugo Svartman hatte ein Vermögen hinterlassen. Als er 1912 gestorben war, belief sich der gesamte Wert auf 295 000 Kronen. Zum größten Teil waren es Rentenpapiere, Bankanleihen und Obligationen. Außerdem gab es ein Portefeuille mit Industrieaktien. Hugo Svartman hatte vor allem in Separator, Svenska Metallverken und Gasaccumulator investiert.
Er rechnete, kontrollierte, strich durch und fing von neuem an.
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