Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tiefe

Tiefe

Titel: Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
Vom Netzwerk:
erkältet, der Hals geschwollen. Abends habe er ein hartnäckiges Fieber, das zwischen 37,9 und 38,8 pendele. Aber er schaffe es trotzdem, seine Arbeit auszuführen, die sich jetzt in einer entscheidenden Phase befinde. Er dankte für ihren Brief und schrieb, daß er sie liebe. Das war alles.
    Zuinnerst wußte er, daß er bald nach Halsskär zurückkehren würde.
    Am 27. November hatten sie den Punkt der Messungen erreicht, an dem die neue Strecke des Fahrwassers mit der alten verbunden werden sollte.
    Sie mußten immer weiter vom Mutterschiff wegrudern. Leutnant Jakobsson hatte die Blenda bewegen wollen, aber Lars Tobiasson-Svartman hatte darauf bestanden, daß sie liegenbleiben sollte.
    »Meine Berechnungen der neuen Strecke des Fahrwassers gehen von dem Punkt aus, an dem die Blenda die ganze Zeit vor Anker gelegen hat. Es würde die Schätzungen durcheinanderbringen, wenn man das Schiff jetzt bewegte«, sagte er.
    Leutnant Jakobsson begnügte sich mit dieser Antwort. Er durchschaute nicht, daß es Lars Tobiasson-Svartman darum ging, die Blenda nicht zu nahe an Halsskär zu bringen.
    Am Morgen des 27. November bemerkte er, daß das Barometer fiel. Die Langsamkeit des Wechsels konnte darauf hindeuten, daß kein größeres Unwetter im Anzug war, aber er hatte den Verdacht, daß sich das Wetter bald stark verschlechtern würde. Ein erster dramatischer Wintersturm war zu erwarten.
    Das war das Zeichen, auf das er gewartet hatte. Rasch packte er etwas von der Trockennahrung ein, die er auf seinen Reisen immer bei sich hatte, falls etwas Unvorhergesehenes geschehen sollte. Heimlich begab er sich zum Munitionsvorrat des Schiffs und entnahm ihm ein paar rote Leuchtraketen.
    Er rollte einen weiteren Pullover und warme Strümpfe in einen Ölmantel und legte das Paket in eine der Jollen.
    Als er von der Blenda wegruderte, frischte der Wind bereits auf. Er war davon überzeugt, daß ein nördlicher Sturm bereits in einer guten Stunde über sie hereinbrechen würde.
    Diesmal entschied er sich dafür, sein Boot in die schützende Bucht zu bringen. Die Segeljolle lag an ihrem Platz. Er steuerte seine Jolle an ihre Seite, zog sie zwischen den Steinen hoch und schlang die Fangleine um einen kräftigen Wacholderbusch.
    Es war kurz nach acht. Ein Augenblick der Windstille trat ein, dann schlug der Nordwind zu. Er wartete so lange in der Bucht, bis er sicher war, daß der Sturm gekommen war und anhalten würde. Dann kletterte er auf die höchste Spitze der Schäre und feuerte eine Leuchtrakete ab. Nun würden sie auf der Blenda wissen, daß er auf der Insel in Sicherheit war und dort bleiben würde, bis der Sturm sich gelegt hätte.
    Er eilte zurück zur Jolle, nahm das Paket und folgte dem Pfad hinauf zum Häuschen. Die Tür war geschlossen, Rauch stieg aus dem Kamin auf. Er setzte sich hinter seine Klippe und wartete auf den Regen. Er blieb sitzen, bis er richtig durchnäßt war.
    Dann verließ er die Klippe.
    Sie öffnete die Tür.
    Als sie sein Gesicht erkannte, trat sie zur Seite. Sobald er im Haus war, hätte er sich umdrehen und davonrennen mögen. Es war, als wäre er in eine Falle geraten, die er sich selbst gestellt hatte. Was hatte er dort zu suchen? Es ist eine Torheit, dachte er, aber nach dieser Torheit habe ich mich gesehnt.
    Sie schob ihm einen Hocker an den offenen Kamin.
    »Der Sturm kam unerwartet«, sagte er und streckte die Hände zum Feuer aus.
    »Stürme kommen immer unerwartet«, entgegnete sie.
    Sie hielt ihr Gesicht in den Schatten, weg vom Feuer.
    »Ich bin gerudert und habe es nicht zurück zum Schiff geschafft. Ich habe in der Bucht hier Schutz gesucht.«
    »Man wird glauben, daß Sie ertrunken sind.«
    »Ich hatte eine Leuchtrakete bei mir und habe sie abgeschossen. So wissen sie, daß ich hier auf Halsskär bin.«
    Er überlegte, ob sie wüßte, was eine Leuchtrakete ist. Aber da sie nicht fragte, erklärte er es ihr nicht.
    Sie trug den grauen Rock. Die Haare waren nachlässig im Nacken zusammengebunden, dichte Strähnen fielen ihr über die Wangen. Als sie ihm eine Tasse hinhielt, hätte er sie packen mögen.
    Der Kaffee war bitter, voller Kaffeesatz.
    Sie blieb immer noch im Schatten. »Sie dürfen natürlich hierbleiben«, sagte sie aus der Dunkelheit heraus. »Bei diesem Wetter jage ich niemanden hinaus. Aber erwarten Sie nichts.«
    Sie saß auf der Pritsche an der Wand. Er dachte, sie verberge sich im Dunkel wie ein Tier.
    »In einer alten Steuerliste habe ich gelesen, daß hier früher einmal

Weitere Kostenlose Bücher