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Tiefe

Tiefe

Titel: Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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könnte ich nicht der Kapitän auf einem alten Schlepper der Flotte sein. Ich meine das symbolisch, es würde mir nie einfallen, schlecht über einen Klepper zu reden. Sie sind wie Ardennerpferde. Auch wenn ein Kanonenboot kein Herz und keine Lungen hat, verschleißt es sich und bewältigt das Ziehen nicht mehr. Die Pferde werden zum Abdecker geschickt, das Schiff zum Verschrotten.«
    Er spürte plötzlich, wie sehr Leutnant Jakobsson ihn irritierte. Er hatte etwas Geschäftiges an sich, vielleicht eine Beflissenheit, er war ein verdammter Schwätzer mit schlechtem Atem und feuchter Pfeife. Es war wie mit dem verrotz-ten Matrosen. Lars Tobiasson-Svartman packte die Lust, ihn zu schlagen.
    Er frühstückte und nahm danach die Arbeit auf. Der Matrose, der Welander ersetzen sollte, machte es ausgezeichnet. An diesem Tag brachen sie den Rekord, sie führten insgesamt 144 Lotungen aus, bevor die Arbeit eingestellt wurde, weil es zu dunkel wurde.
    Immerzu dachte er an das, was er am Morgen erlebt hatte. Mehr und mehr kam es ihm vor wie eine Fata Morgana, etwas, das eigentlich nicht geschehen war.
    Spätabends, er war schon eingeschlafen, klopfte Leutnant Jakobsson an seine Kajüte. Er zog sich rasch an und ging an Deck.
    Weit draußen auf See, am östlichen Horizont, flackerte ein Feuerschein im Dunkel auf. Dort spielte sich eine für sie unsichtbare Seeschlacht ab.
    »Wir haben über Funk Berichte gehört, daß etwas Großes und vielleicht Entscheidendes im Gange ist«, sagte Leutnant Jakobsson. »Die russischen und die deutschen kaiserlichen Flotten sind aufeinandergestoßen. Viele Menschen werden heute nacht in Dampf und Feuer sterben, zerfetzt, ertrinkend.«
    Der Feuerschein kam und ging, er schlug zum Nachthimmel empor. Fernes Donnern und Druckwellen drangen bis zu ihnen.
    Lars Tobiasson-Svartman dachte an die Tragödie, die sich abspielte. In der Hitze und im Kampf herrschte die Hölle. Es war, als würde ein Orchester mit den Musikern des Bösen dort in der Dunkelheit spielen.
    flammte, bestand aus Tönen, die sich in tödliche Geschosse verwandelten. Lange standen sie da und betrachteten die Schlacht, die dort tobte. Keiner sagte etwas, alle waren beklommen und stumm.
    Kurz nach drei Uhr morgens war es vorbei. Der Feuerschein erlosch, das Donnern der Kanonen hörte auf.
    Zurück blieb nur der Wind, der nach Osten gedreht hatte. Die Temperatur war im Begriff, wieder zu fallen.
    Schneefälle kamen und zogen vorbei, doch der Wind war immer noch schwach und wechselte zwischen Ost und Nord. Sie hatten einen einzigen Tag mit einer steifen nördlichen Brise. Lars Tobiasson-Svartman beschleunigte den Arbeitstakt, die Matrosen gingen manchmal in die Knie vor Müdigkeit, aber keiner protestierte.
    Das Meer hielt den Atem an: Vogelschwärme wurden immer seltener, sie waren nur flüchtig zu sehen, wenn sie dicht über den Wellenkämmen dahinzogen, in gerader südlicher Richtung.
    Die Tage wurden immer kürzer. Immerzu dachte er an die Frau auf Halsskär.
    Es verging eine Woche, ohne daß er wieder zur Schäre ruderte.
    Seine Unruhe wuchs, er wollte dorthin, hatte aber nicht den Mut. War sie zu nah, oder war der Abstand zu groß?
    Die Svea erschien ohne Fregattenkapitän Rake, der nach Stockholm gefahren war, um seine Mutter zu beerdigen. Leutnant Sundfeldt empfing Lars Tobiasson-Svartman im Salon. Er hatte zwei Briefe. Der eine war von Bankier Hä-kansson vom Hauptbüro der Handelsbank, der andere von seiner Frau.
    Sie unterhielten sich kurz miteinander. Der Verschlüsselungsoffizier holte das Logbuch.
    Als er in seine Kajüte zurückgekehrt war, begann er den Brief von Bankier Häkansson zu lesen. Die Börse reagierte weiterhin mit steigenden Kursen auf das Kriegsgeschehen. Es gab keinen Grund zur Beunruhigung. Der Krieg war gut für die Wertsteigerung und die Stabilität der Papiere in den führenden Wirtschaftszweigen.
    Der Bankier schlug ihm vor, einen Aktienposten der Russischen Telefongesellschaft sowie von Bofors Gullspäng zu erwerben, die kürzlich gute Gewinnprognosen geliefert hatten.
    Den Brief seiner Frau hielt er lange in der Hand. Schließlich entschied er sich dafür, ihn nicht zu öffnen. Es war, als wüßte er bereits, was darin stand, und das irritierte ihn. Er steckte ihn zwischen die Blätter eines alten Atlasses, der sich im Reisearchiv befand.
    Dann setzte er sich an seinen kleinen Tisch. Wie sollte er auf einen Brief antworten, den er nicht gelesen hatte?
    Er schrieb einige wenige Zeilen: Er sei schwer

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