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Tiefe

Tiefe

Titel: Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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wird.«
    »Ich bin davon überzeugt, daß meine Angaben stimmen.«
    »Was schlagen Sie vor?«
    »Da die Aufgaben, die ich jetzt erledige, entweder warten oder von jemand anders ausgeführt werden können, schlage ich vor, daß ich nach Östergötland fahre und eine erneute Kontrolle vornehme.«
    »Liegt da nicht Eis?«
    »Da liegt Eis. Aber ich kann Hilfe von den örtlichen Fischern bekommen, um die Bohrungen durchzuführen.«
    Kapitän Sturde überlegte. Lars Tobiasson-Svartman sah zum Fenster hinaus, wo sich ein Schwarm von Dompfaffen um etwas Eßbares an einem vom Raureif weißen Baum stritt.
    »Da muß natürlich etwas geschehen«, sagte Kapitän Sturde. »Ich kann auch keine bessere Lösung sehen als die, die Sie vorschlagen. Ich frage mich nur, wie es dazu kommen konnte. Das ist natürlich völlig unverantwortlich.«
    »Ingenieur Welander hat seinen Alkoholismus sehr geschickt verborgen gehalten.«
    »Er muß doch gewußt haben, daß seine Fehler aufgedeckt haben. Ich schlage vor, daß dies unter uns bleibt. Ich werde veranlassen, daß die neuen Seekarten einstweilen nicht verteilt werden. Wann können Sie aufbrechen?«
    »In vierzehn Tagen.«
    »Ich werde dafür sorgen, daß Sie Ihre Befehle bekommen.«
    Lars Tobiasson-Svartman verließ Kapitän Sturde und kehrte in sein Büro zurück. Er war in Schweiß gebadet. Aber alles war nach Plan verlaufen. Er hatte Welanders Tagebücher heimlich mit nach Hause genommen und abends dagesessen und die Zahlen geändert. Es war eine perfekte Fälschung, die nie entdeckt werden würde. Selbst wenn Ingenieur Welander eines Tages aus der Nervenheilanstalt entlassen würde, könnten seine Erinnerungsbilder von der Zeit auf der Blenda verzerrt und diffus sein.
    Er dachte an Sara Fredrika und die Eiswanderung, die ihm bevorstand.
    Er dachte, daß sein Vater ihn wohl insgeheim bewundert hätte.
    Jemand übte auf der Geige.
    Der Ton war spröde, dieselben Takte wurden immer wiederholt.
    Es war der Abend des 12. Februar. Die strenge Kälte lag wie eine Decke aus Eisen auf dem Bahnsteig des Hauptbahnhofs von Norrköping, als Lars Tobiasson-Svartman aus dem Zug stieg und sich nach einem Gepäckträger umsah. Es waren wenige Reisende unterwegs, schwarze Schatten, die durch die Dunkelheit huschten. Erst als die Lokomotive Dampf ausstieß und die Wagen auf ihrer Fahrt nach Süden losruckten, kam ein Mann mit Eiszapfen im Bart und kümmerte sich um das Gepäck.
    Er hatte ein Telegramm geschickt und ein Zimmer im Göta Hotel reservieren lassen. Der Fluß, der durch die Stadt strömte, war zugefroren. Der Mann, der den Gepäckwagen zog, keuchte schwer an seiner Seite.
    Das Zimmer lag im ersten Stock und bot einen Blick auf eine Kirche, die im Halbdunkel ruhte. Es war warm im Zimmer, er hatte dieses Hotel gewählt, weil es über eine Zentralheizung verfügte.
    Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, stand er regungslos da und versuchte sich vorzustellen, daß er sich auf einem Schiff befand. Aber der Boden unter seinen Füßen machte keine Anstalten, sich zu bewegen. In diesem Moment hörte er die Geige. Jemand übte in einem angrenzenden Zimmer. Vielleicht spielte er Schubert.
    Er setzte sich aufs Bett. Noch konnte er die Reise abbrechen. Er dachte, daß er verrückt sei. Er befand sich auf einer schwindelerregenden Reise mitten ins Chaos hinein, auf einen Abgrund zu, von dem es keine Wiederkehr gab. Statt weiterzufahren, könnte er einen Zug zurück nach Stockholm nehmen. Es wäre möglich, das zu erklären. Er könnte sich im letzten Moment erinnert haben, daß er die korrekten Angaben in Verwahrung hätte. Er könnte das gefälschte Kartenblatt verschwinden lassen und es durch eine weitere Fälschung ersetzen, die wahr war. Für nichts war es zu spät, er könnte die schwindelerregende Bewegung stoppen, die er in Gang gesetzt hatte, er konnte sich immer noch retten.
    Ein Käfig, dachte er. Oder eine Falle. Aber ist sie in mir? Oder bin ich selbst die Falle?
    Er ging hinunter ins Restaurant und aß zu Abend. Ein Streichquartett spielte, er meinte, Auszüge aus VerdiOpern zu erkennen.
    Der Speisesaal war fast leer, bis auf ein paar vereinzelte Gäste und die beschäftigungslosen Kellnerinnen. Vor dem Fenster Kälte und knirschender Schnee. In der Ferne der Schatten eines Krieges, den keiner richtig verstand und um den sich eigentlich keiner richtig kümmerte.
    Er stellte sich vor, eine Kanone für Gasgranaten zu haben. Ein rotgesichtiger Mann beugte sich an einer Säule des

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