Tiefe
nichts vor mir, aber ich muß das tun, was ich mir vorgenommen habe.
Der Wind war schwach östlich. Er würde drei Tage brauchen, um bis nach Halsskär zu kommen, unter der Voraussetzung, daß das Wetter sich nicht verschlechterte und das Eis wirklich bis zum offenen Meer hin trug. Er beschloß, an diesem ersten Tag bis nach Armnö in den mittleren Schären zu gelangen. Dort müßte es einen Geräteschuppen geben, in dem er übernachten und sich warm halten konnte.
Er schnallte sich die beiden Säcke um, nachdem er Rutscheisen an seinen Lederstiefeln befestigt und sich die Eissporen um den Hals gehängt hatte. Es war zehn Minuten nach zehn, als er die ersten Schritte auf dem Eis machte. Er würde südlich von Fägelö vorbeikommen und dann die Richtung zum Höga Svedsholmen nehmen. Den Abstand nach Armnö berechnete er auf acht Kilometer, was bedeutete, daß er vor Einbruch der Dämmerung dort sein würde.
Er ging los. Die dünne Schneeschicht war an verschiedenen Stellen weggeblasen und hatte das dunkle Eis entblößt. Er hatte das Gefühl, an einem Abgrund zu balancieren, der jederzeit nachgeben konnte. Das Schärenmeer lag verlassen da. Hin und wieder blieb er stehen und lauschte. Vereinzelte Vögel riefen aus ihrem unsichtbaren Unterschlupf, im übrigen herrschte Stille. Als er an Fägelö vorbei war, blieb er stehen, schnallte die Säcke ab und kerbte mit seinem Messer ein Loch ins Eis. Er maß die Dicke des Eises auf vierzehn Zentimeter. Es würde nicht unter seinen Füßen nachgeben.
Er ging mit einer Geschwindigkeit von fünfundzwanzig Metern in der Minute. Er wollte nicht riskieren, schweißnaß zu werden und zu frieren. Beim Höga Svedsholmen blieb er stehen und brach einen Ast ab, den er als Stütze auf der Wanderung benutzen konnte. Er trank Wasser und aß ein paar von den Butterbroten, die man ihm in der Pension mitgegeben ziehen. Die Säcke glitten leicht über das Eis und die dünne Schneedecke. Aber bevor er auch nur halbwegs zu den Grä-holmarna gekommen war, spürte er Schmerzen im Kreuz. Er blieb stehen und dachte sich eine neue Konstruktion aus. Er knüpfte ein Geschirr aus den Seilen, so daß sich das Gewicht auf Rücken und Schultern verteilte. Als er weiterging, fühlte er, daß die Belastung sich verringert hatte.
Bei den Gräholmarna machte er zwischen ein paar Klippen ein Feuer. Nirgends sah er Rauch über den Baumwipfeln aufsteigen, nirgends gab es eine Spur von Menschen. Eine ganze Welt hatte sich unsichtbar gemacht.
Während er daraufwartete, daß das Kaffeewasser kochte, ging er hinaus auf eine Klippe und schrie über die vereiste Bucht. Der Schrei wurde zurückgeworfen, es kam ein fernes Echo, dann wieder Stille. Durch seinen Feldstecher konnte er schon Kräkmarö und Armnö sehen.
In der Bucht von Armnö fand er einen Geräteschuppen, der nicht verschlossen war. Drinnen gab es eine Feuerstatt. Keinerlei Fußabdrücke waren um den Schuppen herum zu sehen. Im Raum gab es Netze und Lockvögel, es roch stark nach Teer. Er öffnete eine amerikanische Fleischkonserve und kroch in den Schlafsack.
Er schlief in dem Gefühl ein, unerreichbar zu sein.
90
Am nächsten Tag machte er eine Wanderung von zehn Kilometern über das Eis.
Sie führte ihn über das Bockskärdjupet bis nach Hökbodan, wo er sein Nachtlager aufschlug.
Er hatte vorgehabt, direkt Richtung Halsskär zu gehen. Doch eine Eisspalte, die sich bei Harstena geöffnet hatte, zwang ihn zu einem Umweg nach Norden. Hökbodan bestand nur aus ein paar kargen Klippen ohne Geräteschuppen. Vor Einbruch der Dämmerung war es ihm gelungen, ein Dach aus Zweigen und Moos über eine Felsspalte zu legen, in der er die Nacht verbringen wollte. Er machte Feuer und öffnete noch eine von den amerikanischen Fleischkonserven. Der Wind wehte schwach, als er in den Schlafsack kroch. Die strenge Kälte hatte sich tagsüber gemildert. Er schätzte die Temperatur auf drei Grad unter Null. Als die Dunkelheit sich herabsenkte und das Feuer verglomm, lag er da und lauschte auf das Meer. Konnte er offenes Wasser hören, das sich an einer Eiskante brach? Oder lag die Eisdecke bis hinaus nach Halsskär? Er konnte nicht entscheiden, was er hörte, ob es das Meer war oder die Stille in seinem Kopf.
Ein paarmal meinte er Kanonenschüsse zu hören, erst einen fernen Donner, dann eine Druckwelle, die durch die Dunkelheit herannahte.
Niemand weiß, wo ich bin, dachte er. Mitten im Winter, in der kalten Welt des Eises, habe ich ein Versteck gefunden, das
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