Tiefe
Speisesaals kurzsichtig über eine Zeitung. Er berechnete den Abstand auf dreizehn Meter und feuerte dann den lautlosen Schuß ab. Der Mann wurde in Stücke gesprengt und von einer elektrischen Lichtflamme verschluckt. Systematisch tötete er alle Gäste im Speisesaal, dann die Kellnerinnen, zuletzt die Frau an der Getränkekasse und die Musiker des Streichquartetts.
Um Mitternacht flüchtete er aus dem Speisesaal. Er legte sich hin, das kalte Lot nah am Körper. Die Kälte knackte in den Wänden des Hotels.
Bevor er einschlief, versuchte er, eine Positionsbestimmung vorzunehmen. Wo befand er sich, wohin war er eigentlich unterwegs? Die Bewegung war schwindelerregend, vielleicht war er wirklich auf dem Weg zu seinem eigenen Untergang.
Das letzte, woran er dachte, war das Eis. Würde es ihn tragen? War das Meer bis hinaus nach Halsskär zugefroren? Oder würde er ein Boot übers Eis ziehen müssen, um das letzte Stück zu rudern? Würde er überhaupt dort ankommen?
Im Schlaf wiegten sich die Eisschollen in ihm.
Die Geige im Nebenzimmer war verstummt.
Nach einem raschen Frühstück verließ er das Hotel. Der Portier, der mit dänischem Akzent sprach, hatte ihm einen Wagen besorgt. Es war nicht unproblematisch, da er bis zur Landungsbrücke von Gryt gefahren werden wollte, wo seine Wanderung beginnen sollte. Die Straße war vereist, die Kälte konnte Motorprobleme verursachen. Für einen Aufpreis von zehn Kronen hatte sich ein Fahrer in einem Ford bereit erklärt.
Sie verließen die Stadt kurz nach halb acht, im Au to war es kalt, Lars Tobiasson-Svartman saß e i n gehüllt in eine dicke Decke auf dem Rücksitz. Der r Fahrer hatte einen Schal um seine W i ntermütze geschlungen. Lars Tobiasson- Sv artman erinnerte sich an Leutnant Jakobsson und seinen Schal. Ihn schauderte bei der Eri nnerung an den Mann, der vor ihm auf dem De ck gestorben war, ohne ein Wort, ohne » Vo rwarnung.
Die Landschaft lag eingebettet in der Kälte da. Kurz bevor sie durch Söderköping fuhren, passierten sie den Göta Kanal. Holzfrachter lagen eingefroren an der Kanalböschung. Sie waren an den Trossen festgekettet wie Tiere in ihren Verschlägen. Er dreht sich um und betrachtete die Frachter so lange, wie er konnte, durch die Rückscheibe.
Ich werde mich an diese Frachter erinnern, dachte er. Einer davon wird mich zur letzten Grenze bringen, wenn es soweit ist.
Bei Gusum begann der Motor zu stottern, und inValdemarsvik ging es nicht mehr weiter. Er schloß dort zu übernachten, bezahlte den Fahrer und nahm sich ein Zimmer in einer Pension, die auf einer Anhöhe hinter der großen Gerberei zuinnerst in der Bucht lag. Der Ostwind trieb den Gestank aus den Schornsteinen davon. Der Wirt bot ihm in seinem schwerverständlichen Dialekt an, am nächsten Tag für den Transport zu sorgen.
Nachdem er sein Gepäck abgestellt hatte, ging er zum Hafen hinunter und untersuchte das Eis. Es war dick und bog sich nicht unter seinen Füßen. Er wandte sich an einen Mann, der Eis von einem Fischerboot abschlug, und fragte nach den Verhältnissen draußen im Schärenmeer. Doch der Mann wußte nichts. »Wenn es an den Klippen da draußen kalt ist, wird da wohl auch Eis sein. Aber ich weiß es nicht. Und es kümmert mich auch nicht.«
Er aß in der Pension, vermied es, anders als einsilbig auf die Fragen des neugierigen Wirtspaars zu antworten, und ging früh zu Bett. Er bohrte sich tief ins Kissen und versuchte sich vorzustellen, daß es ihn nicht gab.
Die Landungsbrücke von Gryt lag verlassen da, ein paar im Eis festgefrorene Boote, ein verrammelter Dampf schiff schuppen, eine halb eingestürzte Slipanlage. Der Fahrer hob die beiden Säcke heraus und nahm das Geld entgegen. Eine dünne Schneedecke lag über dem Eis, ohne andere Spuren als die von einer einsamen Krähe oder Elster.
»Hier ist niemand gegangen«, sagte der Fahrer. »Und niemand ist gekommen. Hier kommen keine Boote herein, bis das Eis im März oder April aufgeht. Und da stehen Sie mit Ihren Reisesäcken. Sind Sie wirklich sicher, daß Sie hierher wollten?«
»Ja«, antwortete Lars Tobiasson-Svartman. »Hierher will ich.«
Der Fahrer nickte bedächtig. Er stellte keine weiteren Fragen. Das schwarze Auto verschwand am Hang zur Brücke hinauf. Lars Tobiasson-Svartman stand regungslos da, bis das Geräusch des Motors verschwunden war. Dann holte er seine Seekarte heraus. Die Panik grollte dumpf in ihm. Ich kann nicht umkehren, dachte er. Es gibt nichts hinter mir, vielleicht auch
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