Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tiefe

Tiefe

Titel: Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
Vom Netzwerk:
spätnachts, machte ich mich davon. Der Matrose, der Wache hatte, verstand, was ich vorhatte. Er wäre mir gern gefolgt, hatte aber nicht den Mut dazu. Er fürchtete, als Deserteur erschossen zu werden und seinen Eltern Kummer zu bereiten. Ich ruderte davon, nach sieben Tagen kam ich hierher. Ich ließ das Boot weggleiten und ging auf dieser Schäre an Land. Natürlich kann ich nicht bleiben. Aber ich weiß nicht, wohin ich soll. Ich habe versucht, es ihr zu erklären, aber wir verstehen einander nicht.«
    Lars Tobiasson-Svartman übersetzte. Nicht alles, nur das, was er für geeignet hielt. Dem Übersetzer gehörte die Erzählung. Er veränderte sie, erwähnte nichts von den russischen Schiffen, die versenkt worden waren, sondern ließ statt dessen Stefan Dorflinger desertieren, nachdem er vorsätzlich einen Offizier an Bord des Schiffs getötet hatte.
    »Man muß verstehen«, schloß er. »Die militärischen Gesetze sind hart, es gibt keine Gnade, kein Mitgefühl, nur einen Strick oder ein Hinrichtungskommando. Dann versucht man, sich davonzumachen. Ich hätte dasselbe getan.«
    »Warum hat er jemanden getötet? Wen hat er getötet?«
    »Ich werde ihn fragen.«
    Stefan Dorflinger sah ihn unruhig an.
    Er hat immer noch die Bilder im Kopf, dachte Lars Tobias-son-Svartman. Die stummen Bilder, die ruckartigen Bewegungen des Krieges, geräuschlos.
    »Wie hieß der Wachtposten an Deck? Der nicht den Mut hatte, dir zu folgen?«
    »Fritz Buchheim. Er war so alt wie ich.«
    Sara Fredrika wartete ungeduldig. »Was hat er gesagt?«
    »Der Getötete war Bootsmann und hieß Fritz Buchheim. Er war ein Schinder. Schließlich ist er zu weit gegangen.«
    »Man darf nicht töten. Sollte ich jeden verdammten Finnen totschlagen, der herkommt und mich mit Gewalt zu nehmen versucht? Oder die Kerle von den Inseln in den inneren Schären, die denken, die Witwe sei eine Hure, die man anpflocken und arbeiten lassen sollte?«
    Er war von ihrer Sprache überrascht. Sie erinnerte ihn an die Nacht in Nyhavn.
    »Ich kann keinen Mörder hier dulden«, fuhr sie fort. »Auch wenn er den Krieg schlecht erträgt.«
    »Wir müssen ihn schützen.«
    »Wenn er gemordet hat, muß er doch verurteilt werden.«
    »Er ist bereits verurteilt. Sie werden ihn hängen. Wir müssen ihm helfen.«
    »Wie?«
    »Ich muß ihn mitnehmen, wenn ich meine Arbeit erledigt habe.«
    Sara Fredrika sah Stefan Dorflinger an. Lars Tobiasson-Svartman erkannte, daß er sich geirrt hatte.
    Die beiden waren sich nähergekommen. Stefan Dorflinger war schon seit über einem Monat auf sagt, daß ich dir helfen werde. Als Deserteur von der deutschen kaiserlichen Flotte bist du im voraus verurteilt. Aber ich werde dir helfen.«
    »Warum? Du bist auch ein Soldat.«
    »Schweden und Deutschland liegen nicht im Krieg miteinander. Du bist nicht mein Feind.«
    Er sah, daß Stefan Dorflinger zweifelte.
    Er lächelte. »Ich lüge dir hier nichts vor. Ich werde dir helfen. Du kannst nicht hierbleiben. Wenn ich meine Arbeit beendet habe, gehst du mit mir. Verstehst du, was ich sage?«
    Stefan Dorflinger saß schweigend da.
    Lars Tobiasson-Svartman wußte, daß er verstanden hatte. Aber daß er noch nicht zu glauben wagte, daß es wahr war.
    In der Nacht lag er dem Feuer am nächsten. Der Deserteur hatte sich in seinen Mantel verkrochen, halb unter der Pritsche, auf der Sara Fredrika sich zusammengerollt hatte, das Fell über den Kopf gezogen.
    Lars Tobiasson-Svartman schlief tief und wurde dann mit einem Ruck wach. Er lauschte den Atemzügen der anderen. Er meinte, einen Atem zu hören, den er kannte, den Atem seines Vaters.
    Die Toten, dachte er, sie kommen näher und näher. Irgendwo in diesem Haus ist auch mein Vater. Er betrachtet mich, ohne daß ich ihn sehen kann.
    Die Uhr zeigte, daß es auf die Dämmerung zuging. Er stand vorsichtig auf und verließ das Haus.
    Es war kalt, er folgte dem Pfad hinunter zur Bucht.
    Als das Licht wiederkehrte, entdeckte er einen Seevogel, der erfroren im Eis lag. Er hatte die Flügel
    Er betrachtete ihn lange, ging schließlich aufs Eis hinaus und knickte die ausgebreiteten Flügel zusammen. Jetzt ruhte der Vogel, der Fluchtversuch war beendet.
    Er ging weiter, folgte dem Weg, den er gerudert war, und näherte sich der Stelle, an der die Blenda vor Anker gelegen hatte.
    Von Osten zog eine Wolkendecke heran. Er hatte den exakten Abstand zu dem Schiff vermessen und blieb auf dem Eis stehen, wo das Fallreep heruntergehangen hatte. Die Wolken waren dunkel, es fing

Weitere Kostenlose Bücher