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Tiefe

Tiefe

Titel: Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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an zu schneien. Er betrachtete Hals-skär. Die grauen Klippen, unterbrochen von weißen Feldern, glichen einem zerfetzten, auf einen Acker hingeworfenen Mantel.
    Er hatte seinen Feldstecher zuoberst auf seinem Gepäck zurückgelassen. Es war einer von der modernen Art, mit doppelten Linsen, die an einem beweglichen Zylinder im Verhältnis zu den Augen eingestellt werden konnten. Wenn die Einstellung verändert wäre, könnte er sicher sein, daß Sara Fredrika den Feldstecher genommen hatte und hinaus auf die Klippen gegangen war, um zu sehen, womit er sich beschäftigte.
    Er stand mitten auf der gewaltigen Eisfläche. Unter ihm betrug der Abstand zum Boden achtundvierzig Meter. Er sah hinaus übers Eis, er kannte die exakte Tiefe von jeder einzelnen Stelle.
    Für einen kurzen Augenblick wünschte er, das Eis möge brechen und alles vorüber sein. Diese ganze sinnlose Suche nach einem Punkt, an dem es keinen Boden gab, wo alles, was gemessen wurde, zurückwich.
    Da meinte er, daß Kristina Tacker bei ihm wäre. Sie beugte sich vor und flüsterte ihm etwas ins Ohr, ohne daß er sie verstehen konnte. Er ging weiter hinaus aufs Eis. Die Oberfläche war höckerig, es gab Nähte im Eis, die sich erhoben wie Wülste. Er ging zu der Stelle, an der sie die Leiche des toten Matrosen versenkt hatten. Er blieb stehen, als er sich genau über der größten Tiefe befand.
    Aus seinem Sack zog er den Eisbohrer, den die geschickten Ingenieure und Maschinenbauer nach seiner Zeichnung angefertigt hatten. Im Unterschied zu den Eisbohrern, die von der Marine benutzt wurden, hatte sein Bohrer einen kürzeren Schaft. Das war weniger anstrengend, da er auf dem Eis knien und den Bohrer mit der Brust abstützen konnte, wenn er sich durchs Eis arbeitete. Mit einem seiner Eissporen markierte er eine Fläche von einem Quadratmeter. Dann begann er zu bohren.
    Irgendwo stand Sara Fredrika und beobachtete ihn durch den Feldstecher. Vielleicht hatte sie Stefan Dorflinger an ihrer Seite. Der Deserteur war natürlich mißtrauisch, und schon allein um seinetwillen war die Vorstellung notwendig.
    Er bohrte sein erstes Loch an einer Ecke des Quadrats und dachte, daß Sara Fredrika glauben würde, er sei ein Kontrollvermesser.
    Er bohrte ein zweites Loch an der nächsten Ecke und maß die Dicke des Eises, die vierzehn Zentimeter betrug.
    Anschließend bohrte er noch weitere zwei Löcher in den verbleibenden Ecken. Er machte die Löcher so groß, daß er seine Faust hindurchpressen konnte. Als er fertig war, stellte er einen Fuß in das Viereck. Er nahm die Mütze ab und horchte.
    Das Eis knackte unter seinen Füßen. Er würde seinen Plan verwirklichen können.
    Das Licht war stark. Das Eis reflektierte die Strahlen. Er drehte sich um und beschattete sein Gesicht mit der Hand.
    Er war sich nicht sicher. Aber er meinte, Sara Fredrika auf einem Klippenabsatz gleich unter Halsskärs höchstem Punkt zu sehen. Wenn er recht hatte, war es kein verdrehter Wacholderbusch, der an ihrer Seite stand, sondern der Deserteur, dem er Schutz und Hilfe versprochen hatte.
    Er wollte nicht einmal seinen Namen aussprechen, da war es schon leichter, ihn sich nur als den verachtenswerten Deserteur vorzustellen, den Mann, der seine Aufgabe verraten und sich ihm in den Weg gestellt hatte.
    Er kehrte über das Eis zurück.
    An der Stelle, wo die tote Katze gelegen hatte, war nur der eingetrocknete Blutfleck zu sehen. Als er an der Insel angelangt war, bahnte er sich einen Weg durch das Ufergestrüpp und näherte sich vorsichtig dem Haus.
    Vom Meer her war plötzlich ein Kanonenschuß zu hören. Die Druckwelle folgte. Dann noch ein Schuß und eine weitere Druckwelle. Dann war es wieder still.
    Vielleicht war es ein Warnsignal. Vielleicht war der Deserteur umzingelt, vielleicht schlich sich die ganze deutsche Ostseeflotte immer näher an den Eisrand?
    Bei einem der Felsabsätze nördlich der Hütte setzte er sich. Von da aus konnte er die Vorderseite des Häuschens unter Aufsicht halten.
    Eine Eisente zog mit wie rasend schlagenden Flügeln an seinem Kopf vorbei. Er hatte das Gefühl, sie sei ein Projektil, für niemanden bestimmt.
    Sara Fredrika kam heraus, hinter ihr der Deserteur. Er hatte die Uniformjacke abgelegt und sich eine alte Joppe angezogen, die ihrem Mann gehört haben mußte.
    Die Eifersucht.
    Er dachte an den Revolver, der in einem Schrank in Stockholm eingeschlossen war. Hätte er ihn mitgenommen, hätte er sie leicht alle beide töten können. Sie zeigte auf die

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