Tiefer - Im Sog der Lust (German Edition)
abzulegen. Stattdessen stellte sie sich vor, wie sich seine seidige Haut unter ihrer tröstenden Berührung anfühlen würde. Nick senkte den Kopf, seine Stimme nur noch ein leises Flüstern.
„Sag mir, wie lang es her ist“, bat er.
Wie konnte er das nicht wissen? Sie hatte jeden Tag gezählt, seitdem sie ihn das letzte Mal gesehen hatte. Jeder davon ein weiterer Stein in ihrer Mauer. Wie konnte er sich nicht erinnern – außer wenn die Vergänglichkeit der Zeit für ihn keine Bedeutung hatte?
„Zwanzig Jahre“, erwiderte sie einfach. Es hatte keinen Sinn zu versuchen, es ihm schonender beizubringen.
Nick zuckte zusammen, bevor er sich wieder unter Kontrolle hatte. Er drehte sich halb zu ihr um, ein angestrengtes Lächeln zupfte an seinen Lippen. „Also ist er wenigstens nicht von mir.“
„Nicht von dir?“ Bess’ Herz klopfte ihr bis zum Hals. „Oh Nick. Nein. Das ist er nicht. Hast du gedacht, er könnte es sein?“
Er schüttelte den Kopf. „Nein. Ich weiß nicht. Als du gesagt hast, dass du Kinder hast, dachte ich … ich meine, ich wusste, dass das sehr wahrscheinlich der Fall wäre. Ich dachte, du hast bestimmt geheiratet und alles. Ich hatte nur nicht erwartet … zwanzig Jahre …“ Seine Stimme verebbte, und um seinen Mund zuckte es. Er blinzelte ein paar Mal.
Der Anblick seines Zusammenbruchs, wie heftig er auch versuchte, ihn zu verbergen, zerstörte ihre alte Zurückhaltung. Sie ging zu ihm und nahm ihn in die Arme. Er vergrub sein Gesicht an ihrem Hals und umklammerte sie so fest, dass sie fürchtete, ihre Rippen würden brechen. Sie hielt ihn fest, während er gegen die Tränen ankämpfte.
„Pst“, beruhigte sie ihn. Ihre Hände strichen langsam über seinen Rücken. „Alles ist gut.“
Nick schüttelte seinen Kopf. Sie spürte die Hitze an ihrer Haut, aber auch wenn seine Schultern zuckten, konnte er so wenig weinen wie schwitzen oder ejakulieren.
„Ich weiß nicht, wo ich war“, stöhnte Nick so leise, dass sie ihn kaum hören konnte. „Wo zum Teufel war ich, Bess? Zwanzig verdammte Jahre lang?“
„Ich weiß es nicht, Baby“, flüsterte sie. „Aber jetzt bist du hier.“
Er schob sie von sich und ging steifbeinig durch das Zimmer, hob seine Boxershorts von dem Kleiderstapel und zog sie mit einer beinahe wütenden Bewegung an. Er drehte sich zu Bess um. Sein Gesichtsausdruck war düster. Sturmdunkel.
„Hat denn niemand nach mir gesucht?“, wollte er mit verzweifelt ausgestreckten Händen wissen. „Hat es dich nicht interessiert, wohin verdammt noch mal ich gegangen bin?“
Sie blinzelte, versuchte, sich von seinem plötzlichen Wunsch, ihr die Schuld zu geben, nicht treffen zu lassen. „Natürlich hat es mich interessiert. Aber ich wusste nicht, dass du … weg warst. Nicht so.“
„Warum nicht?“ Er kam auf sie zu, packte sie an den Schultern und schüttelte sie. Seine Finger drückten sich in ihre Haut. Das würde weitere blaue Flecken geben.
Sie konnte ihm nicht erklären, wie schwer es gewesen war herauszufinden, wohin er gegangen war, oder wie einfach es gewesen war zu glauben, dass er sie nicht wirklich gewollt hatte. „Ich habe nach dir gefragt, aber niemand wusste etwas. Ich habe auf dich gewartet, aber als du nicht gekommen bist, dachte ich, du wolltest nicht. Ich wusste nicht, dass du nicht konntest. Niemand wusste das.“
Er ließ sie los und wanderte ruhelos durch den Raum. Er drehte sich zu ihr um und beantwortete sich selber seine Frage, bevor er sie gestellt hatte. „Du meinst, es hat niemanden interessiert.“
Sie hatte es interessiert, aber Bess sagte nichts.
„Bin ich so ein großes Arschloch gewesen?“
„Ich habe dich niemals vergessen.“
„Und deshalb soll ich mich jetzt besser fühlen?“ Er schüttelte den Kopf.
„Nein. Es ist einfach nur die Wahrheit.“
„Wolltest du mich vergessen?“, fragte er einen Augenblick später.
Bess seufzte, antwortete ihm aber. „Nach einer Weile, ja. Nach einer Weile habe ich den Sommer hinter mir gelassen.“
Nick schüttelte wieder den Kopf und wandte sich ab. Dann sank er auf das Bett, die Arme vor dem Bauch verschränkt, als hätte er Schmerzen. Er schaukelte ein wenig vor und zurück, schließlich sah er niedergeschlagen auf. Seine Wangen und sein Nasenrücken hatten den gleichen, sonnengeküssten rosafarbenen Schimmer wie früher, während der Rest seines Körpers so braun war wie immer. Doch unter seinen Augen zeigten sich nun dunkle Ringe. Falten, die nichts mit dem Alter zu tun
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