Tiefer - Im Sog der Lust (German Edition)
standen die Chancen gut, dass er sich nicht fürs Bett fertig machte. „Hat er dich gebeten, mich abzuwimmeln?“
Matty gab ein unbehagliches Geräusch von sich.
„Matty? Hat Andy dir gesagt, dass er nicht mit mir sprechen will, wenn ich anrufen sollte?“ Der Drang, die Wahrheit zu wissen, brannte wie Feuer in ihr.
Ein Rascheln am anderen Ende des Hörers. „Er ist mein Bruder, Bess.“
„Und das gibt dir das Recht, mich genauso schlecht zu behandeln wie er?“
Sie fühlte sich nicht gut, das gesagt zu haben, aber Matty klang eher schuldbewusst als verletzt.
„Es tut mir leid.“ Seine Stimme wurde ganz leise. „Er ist wirklich in der Dusche.“
„Er macht sich fertig, um wegzugehen.“
„Ja, ich schätze schon. Nicht, dass er seine Pläne von mir absegnen ließe“, erwiderte Matty. „Er geht im Moment viel weg. Meistens weiß ich nicht mal, mit wem er unterwegs ist.“
„Und manchmal weißt du es“, murmelte Bess. Sie schaute ins Wohnzimmer, wo ihre Tante Jamie und Onkel Dennis eifrig dabei waren, das Monopolyspiel aufzubauen. Die beiden waren gerade für ihre einwöchigen Ferien angekommen und spielten jedes Mal ein Marathonspiel. Bess drehte sich um und wickelte die Telefonschnur um ihren Finger.
„Ist er immer noch nicht fertig?“
Matty seufzte erneut. „Doch. Ich hole ihn.“
„Danke.“
Matty erwiderte nichts, aber Bess hörte, wie der Telefonhörer zur Seite gelegt wurde, dann schlurfende Schritte und ein gedämpftes: „Hier, ich bin es echt leid, deinen Sekretär zu spielen, Andy.“
„Fick dich, Matty.“
„Du dich auch, Bruder. Du dich auch.“
Normalerweise hätte dieses brüderliche Geplänkel Bess zum Lächeln gebracht, weil es für sie als Einzelkind so fremd war. Heute jedoch starrte sie nur auf den Boden und zählte die Blumen im Linoleum, während sie darauf wartete, dass Andy ans Telefon kam.
„Ja? Was ist los?“
„Hi. Ich bin’s.“
„Ja, ich weiß. Was ist los?“ Andy klang abwesend und distanziert.
„Ich vermisse dich.“ Bess, die sich der vielen Menschen im Haus nur zu bewusst war, zog das Telefon mit sich in den kleinen Besenschrank. Sie ließ sich auf den Boden sinken, den Rücken gegen die Tür gepresst, die nicht ganz zuging wegen der Telefonschnur. Sie zog die Knie gegen die Brust. „Ich vermisse dich, Andy, das ist alles.“
„Du hast doch erst vor ein paar Tagen mit mir gesprochen.“
Bess versuchte, Leichtigkeit in ihre Stimme zu bringen. „Ja, ich weiß, aber ich vermisse dich trotzdem. Ist das so schlimm?“
„Nein.“ Sie konnte sich sein Schulterzucken und Stirnrunzeln bildlich vorstellen. Parallel dazu schaute er sehr wahrscheinlich in den Spiegel und kämmte sich das Haar. Spannte den Bizeps an. Typisch Andy.
„Wo gehst du hin?“
„Aus.“
Frag nicht, mit wem. Frag nicht. Sei nicht die eifersüchtige Freundin, die zu sein er dir vorwirft.
„Mit wem?“
„Ein paar der Jungs. Dan. Joe.“
Sie kannte keinen von ihnen. „Aus der Kanzlei?“
„Ich gehe gleich auch noch weg.“ Bess biss sich auf die Wange, hörte aber sofort auf, als es wehtat. Sie berührte die Stelle mit einer Fingerkuppe und sah, dass sie blutete. „Auf eine Party.“
Andys Stimme klang weit entfernt, kam dann näher, und sie stellte sich vor, wie er den Hörer zur Seite gelegt hatte, um sich ein Hemd anzuziehen. „Dann wünsch ich dir viel Spaß.“
„Ja. Dieser Junge … Nick. Er hat mich eingeladen.“
„Mach dir ’nen schönen Abend.“ Mehr gedämpftes Rascheln. Sie hörte ein metallisches Klirren. Vielleicht seine Uhr. „Bess, ich muss los. Die Jungs warten auf mich.“
„Aber wir sehen uns doch nächste Woche zum Konzert, oder? Ich habe an dem Wochenende frei.“ Andy hatte Tickets für Fast Fashion im Hersley Stadion ergattert. Es würde eine der tollsten Shows des Sommers werden.
„Ähm, wo du es gerade ansprichst …“
Bess’ Magen zog sich zusammen. Gelächter drang an ihre Ohren, als ihre Tante und ihr Onkel mit dem anderen Ehepaar, das mit ihnen die Woche hier verbrachte, anfingen, Getränke zu mixen und das Essen aufzutragen. Sie hatten ihre eigene kleine Party.
„Was ist?“ Das konnte nichts Gutes heißen.
„Ich habe keine Karte für dich.“
„Wie bitte?“
„Ich habe keine Karte für dich“, wiederholte Andy. Sie hatte es schon beim ersten Mal verstanden. Den Satz nun noch ein zweites Mal zu hören, machte es nur noch schlimmer.
„Was soll das heißen, du hast keine Karte für mich? Wir haben doch
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