Tiefer - Im Sog der Lust (German Edition)
auch nicht vor Sehnsucht nach ihm verzehrt. Ihr Leben mit Andy war nicht nur hart und beschwerlich gewesen. Bess hatte ihn in dem festen Willen geheiratet, ihn bis ans Ende ihres Lebens zu lieben. Sie hatten zwei Söhne, die sie für immer aneinander binden würden, auch wenn ihre Ehe zerbrochen war. Bess atmete noch einmal tief und langsam ein. Ihre Ehe war vorbei, aber das bedeutete ebenfalls nicht, dass sie verrückt war.
Sie zwang sich auszusteigen. Die kühlere Luft draußen half, dass sie sich besser fühlte. Eine Windbö drohte, ihren Rock hochzuwirbeln, aber sie fing ihn gerade noch rechtzeitig ein. Doch diese kleine Berührung des Windes an ihren Oberschenkeln überzeugte sie, dass sie ganz normal im Kopf war.
Im Supermarkt packte Bess alles Notwendige in ihren Wagen. Neue Strandlaken, Seife, Shampoo, Waschmittel. Einen faltbaren Strandstuhl, den man als Rucksack tragen konnte. Einen Drachen. Zigaretten für Nick und ein paar Klamotten. Ein neues Paar Flip-Flops für sich. Lebensmittel.
Die Rechnung war höher, als sie erwartet hatte, denn selbst Supermärkte waren in Strandnähe teurer als in der Stadt. Sie bezahlte mit ihrer Kreditkarte und dachte über die Ironie nach, die Kleidung für ihren Liebhaber von dem Geld ihres Mannes zu bezahlen. Aber letztendlich war es ihr egal. Andy hatte für seine Geliebte immerhin die Japanreise bezahlt und auch andere Dinge. In ein paar Monaten würde Bess ihre gesamten Rechnungen selber zahlen. Sie hatte etwas Geld von ihren Großeltern und ihren Eltern geerbt, aber sie würde sich auch eine Arbeit suchen müssen.
Irgendwie überzeugte sie dieser letzte Gedanke mehr als alles andere davon, dass sie nicht verrückt geworden war. Wie könnte sie auch verrückt sein, wenn sie noch so praktisch dachte?
Nick war real. Die Frage war nicht, warum, denn das konnte sie sich ziemlich gut vorstellen. Sie war ins Strandhaus zurückgekehrt und er auch. Sie waren miteinander verbunden, sogar nach all dieser Zeit. Unerledigte Geschäfte. Oder etwas in der Art. Irgendwelche Gefühle, die sie nicht zugeben wollte. Etwas, das stärker war als Lust.
Die Frage war also nicht, warum, sondern wie. Zum ersten Mal, seitdem Nick aus dem Wasser gekommen war, um sie zu küssen, hatte sie das Gefühl, vielleicht doch bereit zu sein, darüber nachzudenken, wie es passiert war.
Nie zuvor war sie im Bethany Magick gewesen, aber auf dem Nachhauseweg fiel ihr das Schild auf. Bess stellte den Wagen in einer der schmalen Parklücken am Straßenrand ab. Das Gebäude war rot und purpurfarben gestrichen, die Ecken der Fensterrahmen und der Tür waren mit Blattgold verziert. Kristallkugeln hingen im Schaufenster über ausgestellten Kerzen, Tarotkarten und anderem mystischen Krimskrams. Es gab auch Bücher, und das war es, was Bess interessierte.
Im Inneren roch es nach Rosmarin, und Bess atmete den Geruch tief ein. Kleine Töpfe mit den Kräutern standen auf der sonnigen Fensterbank hinter der Kasse. Sie fragte sich, ob die wohl auch in ihrem Wohnzimmer wachsen würden.
„Das ist Rosmarin“, sagte eine Stimme hinter Bess. „Zum Gedenken.“
Bess drehte sich um und sah sich einer Frau ungefähr in ihrem Alter gegenüber. Sie trug keinen flatternden Zigeunerrock oder lange, klimpernde Ohrringe, wie Bess es erwartet hatte. Stattdessen hatte sie eine abgewetzte Jeans und Flip-Flops an und dazu ein eng sitzendes schwarzes T-Shirt mit einem Totenkopf vorne drauf. Die Augen des Schädels waren Herzen, die von glitzernden Strasssteinen verziert waren.
„Ja“, sagte Bess. „Es ist einer meiner liebsten Gerüche.“
Die Frau strahlte. „Ich bin Alicia Morris. Waren Sie schon einmal bei uns?“
„Hi. Bess Walsh. Und nein, das ist mein erster Besuch.“ Sie schaute sich um. „Ist das Ihr Laden?“
„Jupp.“ Alicia lächelte stolz und trat hinter den Tresen. „Schauen Sie sich ruhig um. Und wenn Sie irgendwelche Fragen haben, lassen Sie es mich wissen.“
„Danke.“ Bess hatte viele Fragen, aber sie war sich nicht ganz sicher, wie sie beginnen sollte. Und noch viel weniger wusste sie, wonach sie suchen sollte. Also drehte sie erst einmal eine langsame Runde durch den Laden und schaute sich alles in Ruhe an. In den zwei Räumen von Bethany Magick, die durch einen gebogenen Durchbruch miteinander verbunden waren, schien es etwas für jeden Geschmack zu geben. Am Eingang und in der Nähe der Kasse gab es Magic-8-Bälle, Ouija-Bretter und günstige Kleinigkeiten wie Kerzen in Form eines Einhorns,
Weitere Kostenlose Bücher