Tiefer - Im Sog der Lust (German Edition)
Plastikgnome und kleine Zaubererbrillen.
„Die guten Sachen sind in dem anderen Raum“, unterbrach Alicia die Lektüre ihres Romans. „Das hier vorne habe ich für Neugierige und Touristen stehen, aber Sie scheinen mir weder noch zu sein.“
Bess legte den wie eine Feder geformten Stift weg, den sie sich gerade angeschaut hatte. „Sie können den Unterschied sehen?“
Alicia grinste. „Die Chancen standen fünfzig-fünfzig. Ich konnte nicht verlieren. Wären Sie eine Einheimische, wären Sie froh, dass ich Sie nicht für eine Touristin gehalten habe. Und als Touristin wären Sie erfreut, von mir für eine Einheimische gehalten zu werden.“
Bess lachte. „Ehrlich gesagt bin ich irgendwie beides. Vor Jahren habe ich meine Sommer hier verbracht, und nun wohne ich in dem alten Strandhaus meiner Großeltern. Aber ich bin bestimmt zwanzig Jahre nicht mehr hier gewesen.“
„Zwanzig ist eine schöne runde Zahl.“ In Alicias Augen blitzte Interesse auf. „Darf ich wissen, in welchem Haus Sie wohnen? Mit alt können Sie keine dieser Mega-Villen meinen, die im Moment überall aus dem Boden schießen.“
„Nein. Das Haus liegt in der Maplewood Street. Es hat eine umlaufende Veranda, graue Dachschindeln. Direkt dahinter liegt ein riesiges neues Haus, sodass man meins von der Straße aus nicht mehr sehen kann.“
„Ich glaube, ich weiß, welches Sie meinen. Man sieht es vom Strand aus.“
„Ja.“
Bess berührte die zerzausten braunen Haare eines kleinen Plastiktrolls. Er war süß, würde sie aber nicht weiterbringen. „Wenn Sie sagen, die guten Sachen sind nebenan – was meinen Sie denn damit?“
„Kommen Sie, ich zeige es Ihnen.“ Alicia legte ihr Buch zur Seite, dem Umschlag nach zu urteilen ein Liebesroman, und führte Bess durch den Bogen. Der Perlenvorhang klickte wie ein Flüstern, als sie hindurchgingen.
Dieser Raum war dunkler, kleine Strahler in der Decke warfen vereinzelte Spotlichter. Regale und mit Samt bezogene, kleine Tische waren mit allerlei interessanten Dingen bestückt. Kleine Beutel mit Steinen, Kartendecks, glitzernde Anhänger an Ketten.
Ein vom Boden bis zur Decke reichendes Bücherregal nahm eine ganze Wand ein, und in einer Ecke plätscherte ein kleiner Wasserfall. Eine hinter einem Vorhang versteckte Tür führte in einen weiteren Raum, der vom Eingang aus nicht zu sehen war.
„Da hinten halte ich meine Sitzungen ab.“ Alicia deutete auf die Tür. „Tarot, aus der Hand lesen, Runen. Allerdings nur nach Termin, weil ich den Laden nicht unbeaufsichtigt lassen kann.“
„Natürlich nicht.“ Bess hatte schon von Tarotkarten und Handlesen gehört, aber Runen waren ihr neu. Sie nahm ein Steinsäckchen von einem der Tische. „Runen?“
„Runen sind eine Form des Wahrsagens. Wie Tarotkarten.“ Alicia zeigte es ihr, indem sie aus einem kleinen Samtbeutelchen mehrere kleine, glatte Steine auf den Tisch fallen ließ. Sie hob einen an, in den ein an ein großes P erinnerndes Zeichen geritzt war. „Das hier ist die Wynn-Rune. Sie steht für Glück oder Freude, oder dafür, dass eine zufriedenstellende Lösung gefunden wird.“ Sie warf Bess einen Blick zu. „Klingelt da was bei Ihnen?“
Bess lachte unsicher auf. „Ich bin mir nicht sicher. Derzeit stecke ich mitten in der Scheidung, das scheint irgendwie nicht zu passen.“
Alicia rieb die Rune zwischen ihren Fingern und betrachtete Bess eindringlich. „Sind Sie sicher?“
Bess lachte erneut. „Nun ja, es ist definitiv eine Situation, die irgendwie gelöst werden wird.“
Die Frau lächelte, zog eine weitere Rune und hielt sie hoch. „Wyrd.“
„Was bedeutet das?“
„Schicksal. Vorsehung. Ein ungewisser Ausgang.“ Alicia ließ die Steine in ihrer Hand gegeneinander klicken.
Bess schluckte. „Das ist …“
„Unglaublich?“ Alicia schüttelte den Kopf und packte die Runen wieder in den kleinen Beutel. „Sie sollten sich mal von mir die Runen lesen lassen. Wirklich lesen lassen. Ich gebe Ihnen auch den Nachlass für Einheimische.“
Nun war es an Bess zu grinsen. „Wirklich? Danke.“
Alicia neigte den Kopf und schaute Bess so lange an, dass es unangenehm hätte sein müssen, war es aber nicht. „Warum sind Sie hierhergekommen?“, fragte sie schließlich.
„Ich war noch nie hier gewesen. Der Laden sah interessant aus. Und“, fügte Bess mit einem Lächeln hinzu, das ihre Antwort herunterspielen sollte, „ich dachte, ich könnte hier vielleicht etwas über Geister lernen.“
„Geister?“
Weitere Kostenlose Bücher