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Tiefer Schmerz

Tiefer Schmerz

Titel: Tiefer Schmerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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Zufall war, daß Leonard Sheinkman am Grab des anonymen ›Shtayf‹ hing. Hinter diesem ›Shtayf‹ verbirgt sich nämlich ein zwanzig Jahre alter Mord. Das Opfer war um die Vierzig, ein ehemaliger KZ-Insasse, erstochen. Er hätte mit Hilfe der in den Unterarm eintätowierten Zahl identifiziert werden können, aber offenbar hat er versucht, sie mit einem Messer fortzuschaben, deshalb war sie unleserlich. Das auffallendstes Merkmal war, daß er keine Nase hatte. Meiner Ansicht nach ist es sehr seltsam, daß die Ermittlung der Polizei von Huddinge 1981 so total scheiterte. Jemand hätte einen Mann ohne Nase sehen müssen, seine Erscheinung hätte Aufsehen erregen müssen, wohin er auch kam. Außerdem hat Interpol den Mann damals nicht identifizieren können. Ich habe das Gesicht und die Fingerabdrücke noch einmal hingeschickt. Europa ist ja seit damals nicht nur größer, sondern auch durchlässiger geworden.«
    Jan-Olov Hultin sah nicht aus wie gewöhnlich. Da jede kleine Veränderung seines steinernen Gesichts unmittelbar Aufmerksamkeit weckte, hielt die A-Gruppe den Atem an. War es der befürchtete Schlaganfall?
    »Es war mein Fall«, sagte er und sank durch ein Zeitloch. Das Zeit-Raum-Kontinuum wurde mit einem schnellen Schnitt gekappt, die Uhren rasten wie wahnsinnig rückwärts. Jan-Olov Hultin war um die Vierzig und befand sich in einem neu eingerichteten kleinen Büro im Polizeipräsidium, lehnte sich zufrieden zurück und dachte: Endlich. Es war ganz unverkennbar.
    Einen Augenblick lang herrschte Schweigen. Dann sagte Chavez: »Nein.«
    »Was?« sagte Hultin und bewegte sich zurück durch die Äonen. Die Sternhaufen schossen schneller als mit Lichtgeschwindigkeit vorbei.
    »Da stand etwas anderes«, sagte Chavez. »Bruun. Kommissar Erik Bruun von der Polizei Huddinge. Kenne ich den Namen nicht von irgendwoher?«
    Paul Hjelm lachte laut. Er wurde mit spürbarer Skepsis betrachtet.
    »Erik Bruun ist mein früherer Chef«, erklärte er. »Der, der mich in die A-Gruppe gepuscht hat.«
    »Genau«, sagte Chavez. »Wir waren einmal da. Aber da war er gerade in Pension gegangen.«
    »Herzinfarkt«, nickte Hjelm. »Zu viele Zigaretten.«
    Hultin begann wieder der alte zu werden. Man atmete auf. Der Pfropfen hielt sich anscheinend auch diesmal fern.
    Er sagte: »Es war genau zu dem Zeitpunkt, 1981, als Bruun auch mich ins Reichskrim puschte. Er hat ziemlich viel gepuscht seinerzeit. Ich bekam den Fall am neunten September und begann sehr zerstreut damit, ihn durchzusehen. Ich wußte ja, daß ich jeden Tag mit einer Antwort auf meine Bewerbung rechnen konnte. Und in diesen ersten Tagen habe ich den Fall höchst unprofessionell gehandhabt. Meine gröbste Fehlleistung bis zum Kentuckymörder. Am elften September bekam ich Antwort und zog sofort hierher. Bruun übernahm die mehr oder weniger gestrandete Ermittlung.«
    »Das ist wirklich ein Witz«, sagte Hjelm. »Ich bin 1984 frisch vom Examen zu ihm gekommen. Ich kann mich nicht erinnern, daß er einen Fall mit einem nasenlosen Mann erwähnt hätte.«
    »Es wurde kein richtiger Fall«, sagte Hultin. »Ein John Doe unter anderen. Nicht einmal die Presse war besonders interessiert. Damals war es nicht möglich, mit Porträts von Leichen in die Medien zu gehen. Die Zeiten haben sich geändert.«
    »Woran erinnerst du dich?« fragte Chavez.
    »Er lag in einem Graben bei einem kleinen See in Älta, unmittelbar neben dem Fahrweg. Keine Reifenabdrücke, die der Rede wert waren. Er war nackt und hatte zwei mit großer Wucht beigebrachte Messerstiche im Rücken, von denen jeder auf der Stelle tödlich war. Die Ziffern auf dem Arm waren in einem Wirrwarr von Narben fast verschwunden, als habe er versucht, sie im Suff abzuschaben. Und dann diese Nase …«
    »Ich habe ein Bild hier«, sagte Chavez und ließ ein gealtertes Farbfoto herumgehen.
    »Ich bekam eigentlich überhaupt nichts Greifbares«, fuhr Hultin fort, »keine Zeugen, keine Spuren. Niemand in ganz Schweden schien diesen Mann ohne Nase gesehen zu haben. Anderseits habe ich, wie gesagt, nicht besonders gründlich gesucht.«
    »Ich frage mich eins«, sagte Kerstin Holm, den Blick auf das Foto gerichtet. »Warum macht man nichts gegen eine so gravierende Entstellung? Ein einziger Blick eines plastischen Chirurgen hätte doch ausgereicht, um ihn ob der Herausforderung jubeln zu lassen.«
    »Gute Frage«, meinte Hultin. »Armut? Kein Kontakt mit dem Gesundheitssystem? Ein Ausgestoßener?«
    »Und dazu noch Ausländer«,

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