Tiefschlag
Künstler. Er wußte, daß alle auf sein gefärbtes Koks abfahren würden, es kam immer super an, wenn sie eine Party schmissen. Aber man mußte es ihm ständig sagen. Er mußte es hören.
Mama füllte ihre Eiscreme in eine runde Backform und konsultierte wieder Delia Smith’s Complete Illustrated Cookery Course. Es war ein neues Rezept, das sie noch nie ausprobiert hatte, doch Delia hielt es für ein unschlagbares Partygericht, und was das betraf, war Mama bereit, sie als absolute Autorität anzuerkennen.
«Soll ich dir helfen?» fragte Doc Mama.
«Ja, du kannst mir mit dem Acid helfen», sagte sie.
Doch ging zum Kühlschrank und kehrte mit einem kleinen Fläschchen Acid und einer Pipette zurück. Er füllte die Pipette und fragte: «Wie viele?»
«Zehn», sagte sie. Sie schaltete den Mixer ein und knetete die dicke, weiße Mixtur in der Backform durch.
«Jetzt?» fragte Doc und hob seine Stimme gegen den Lärm des Mixers.
Mama nickte, und zusammen zählten sie laut, während Doc die zehn Tropfen in die Eiscreme fallen ließ.
Franco ging nach unten, überließ seiner Mutter und seinem Bruder den Spaß der Partyvorbereitungen.
Er stand im Bad und sah die schwarz gekachelten Wände und den Boden an, bemerkte, wie sie das Licht reflektierten. Er schnupperte und witterte den Duft der neuen Coty-Seife, die Mama gekauft hatte. Aber da war noch etwas. Dettol? Er lauschte in die Stille und sah sich im Spiegel.
Da waren keine jähen und heftigen Bewegungen, keine um Gnade flehenden Schreie, kein über die Wände verspritztes Blut. Die Luft war sauber. Der Gestank des Todes war verschwunden.
Franco ging weiter in sein Arbeitszimmer im Keller und wählte die Nummer von Mr. Julian. Er zählte mit, wie oft es am anderen Ende klingelte. Mr. Julian hob stets beim achten Klingeln ab, dieses Mal jedoch kam er nur bis vier. Und die Stimme war auch falsch.
«Mr. Julian?» sagte er in die Sprechmuschel.
«Wer spricht da?»
Franco erkannte die Stimme sofort. Es war der Sohn des alten Mannes. Er würde bald volljährig sein und dann die Organisation übernehmen. Aber er war unsicher. Seine Unerfahrenheit war beinahe greifbar, wie eine plötzlich ausbrechende Akne.
«Ich bin’s, Franco», sagte er. «Ich möchte gern Ihren Vater sprechen.»
«Geht jetzt nicht, Franco. Kann ich Ihnen irgendwie weiterhelfen? Vater ist unterwegs. Ich habe im Moment die Verantwortung.»
Franco sagte, er werde später wieder anrufen, am Wochenende, wenn der alte Herr zurück war. Er legte auf. Er würde es selbst klären. Der junge Mr. Julian war noch ein Kind. Franco würde es keinesfalls einem Kind überlassen. Hier ging’s um Männerarbeit.
Mama öffnete die Tür und lächelte ihn an. «Benjamin», begrüßte sie ihn. «Er erwartet sie bereits.»
Ben hätte Mama auch dann nicht ausstehen können, wenn sie ihn Ben statt Benjamin nannte. Er erwiderte ihr Lächeln und folgte ihr nach unten zu Francos Arbeitszimmer. Sie führte ihn hinein und schloß hinter ihm die Tür. Franco saß in seinem Ledersessel, und wie üblich war es in dem Raum praktisch stockfinster. Das einzige Licht kam von einem abgedimmten Strahler auf Francos Tisch. Ben versuchte, Francos Miene zu lesen, doch in der Dunkelheit war nichts zu erkennen. Er hatte lediglich eine schwarze Silhouette und das Zischen von Francos Atmen.
Franco sagte nichts. Er berührte eine Taste auf einer Fernbedienung, und in einer Ecke des Raumes flammte ein Fernsehbildschirm auf.
Dorthin drehte sich Ben nun und sah Aufnahmen von sich und Gog und dem jungen Andrew. Er schaute zu, wie Gog den jungen Andrew jagte und auf ihm rumtrampelte, und er schaute zu, wie Gog den Jungen zusammenklappte und hinten in den Wagen warf. Und dann schaute er zu, wie sich der Wagen entfernte, während die Kamera das ausgefallene Nummernschild heranzoomte: FRANC 0.
Der Bildschirm wurde schwarz, und Franco schaltete den Fernseher aus. Ben wußte nicht, was er sagen sollte, aber nach einer Minute oder so fand er, er sollte wohl besser irgendwas sagen.
«Das waren wir», versuchte er. «Ich und Gog. Als wir uns den Jungen geschnappt haben.»
Franco seufzte. «Ihr seid dabei gefilmt worden, wie ihr euch den Jungen gegriffen habt», sagte er. «Und ihr habt es mit meinem Wagen gemacht.»
«Das kann ich erklären», sagte Ben. «Mama wollte den anderen Wagen haben. Sie hat gesagt, wir sollten deinen nehmen.» Er deutete auf den schwarzen Bildschirm. «Wieso hast du überhaupt Aufnahmen davon? Ist uns irgendwer
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